LICHT AN IM BEUTELZIMMER (Rezension)

* Mucksmäuschenstill und regungslos harren wir in unserem Versteck aus. Nur einige Bäume und Büsche trennen uns von den drei Kängurus. Und ein niedriger Zaun aus geflochtenen Haselzweigen. Den blenden wir aber aus – so fühlt es sich mindestens doppelt so abenteuerlich an.
Die in Australien beheimateten Tiere genießen offenbar die ersten wärmenden Strahlen der Frühlingssonne. Und – schwuppdiwupp – sind es nur noch zwei. Das Jungtier ist in den Beutel der Mutter geschlüpft. Welch wundervolles Schauspiel.

Sid sucht seine Familie

Wie gern würde Sid das jetzt tun – einkuscheln bei seiner Mama, die doch versprochen hatte, auf ihn aufzupassen. Das kleine Beuteltier aus Barbara Raths Kinderroman „Sid – ein kleines Känguru sucht im australischen Busch seine Familie“ hat jedoch den Anschluss verloren. Auf sich allein gestellt kämpft es sich durch die Wildnis.

Dabei fühlte sich Sid eigentlich noch ganz wohl in der kleinen, eng begrenzten Beutelwelt. Er liebte das Geschaukel, wenn seine Kängurumutter schnell und weit sprang. Er liebte die wohlige Wärme, die vertrauten Gespräche, die Nähe und Geborgenheit.

Mama teilen? Niemals.

Bis plötzlich ein kleiner rosa Wurm zu ihm in den Beutel rutschte. Es war Pat, sein Bruder. Zumindest behauptete seine Mutter das. Kaum zu glauben, dass er auch einmal so winzig und hilflos gewesen sein soll. Bis der Winzling groß genug ist für gemeinsame spannende Spiele, dauerte es gewiss noch eine Ewigkeit.

Deshalb wollte Sid raus aus der kuscheligen Bauchhöhle. Unbedingt. So schnell wie möglich. Widerwillig beobachtete die Tiermama die ersten Ausflüge ihres dafür eigentlich noch viel zu jungen großen Kleinen.

Erste Sprungversuche

Der genießt seine kleinen Abenteuer – das erste Mal Beutelball spielen, der erste Besuch der Känguruschule, dem Mütterklub lauschen. Und kehrt abends sehr erschöpft und nicht minder glücklich heim. Immer. Bis auf ein Mal. Als er heimlich am Hang stehend eine Schafherde beobachtet. Und abrutscht.

Zwischen Neugier und riesengroßer Angst

An diesem Punkt beginnt sein ungewollt großes Abenteuer. Und die Suche nach seiner Herde und Familie. Wird er sie wiedersehen?

Einfache Worte für große Gefühle

In kindgerechter Sprache erzählt Barbara Rath von Sids aufregenden Erlebnissen. Die zweifache Mutter inzwischen erwachsener Kinder findet leicht verständliche und flüssig lesbare Worte, um das kleine Känguru auf seinem schwierigen und oftmals ängstigenden Weg durch die Wildnis zu begleiten. Mit ihm erleben wir den großen Schmerz der Trennung, unerwartete Hilfe, tief verbindende Freundschaft und das erfüllende Gefühl der Geborgenheit beim Wiedersehen.

Die Welt aus Kängurusicht

Überaus fantasievoll und zum Schmunzeln auch für die großen (Vor-)Leser sind dabei die Beschreibungen aus Känguruperspektive. Als Sid zum Beispiel erstmals einen Menschen sieht. Einen Hirten, der zwei Zehen seiner Vorderpfote in den Mund nimmt, um nach seinem Hund zu pfeifen. Seltsames Wesen.

Dank kängurutypischer Wortwahl tauchen wir vollends ein in den Alltag eines kleinen Hüpfers. Wir lernen mit ihm Beutelball spielen, eine Art Basketball mit zwei Kängurumüttern als Körbe. Und wir lauschen mit ihm dem Lehrer der Känguruschule, der von harmlosen Wollknödeln berichtet. Ganz klar, Schafe.

Literatur für Leseanfänger

Bei aller dem Lesefluss zuträglichen Einfachheit der Sprache gibt es hin und wieder Absätze mit gezielt eingesetzten Wiederholungen bestimmter Worte und Satzstrukturen. Schon Leseanfänger lernen hier verschiedene einfache Stilmittel kennen, die mal besondere Ruhe oder Langeweile, mal Hast oder Angst verdeutlichen. Wunderbar unaufdringlich in den Text integriert.

Bildliche Sprache macht Empfindungen (beinahe) spürbar

Die Empfindungen des kleinen Kängurus sind äußerst bildlich und geradezu fühlbar beschrieben. Allem voran die verschiedenen Formen der Wärme, die Sid im Beutel seiner Mutter erfährt – die warme Milch beim Säugen, die sichtbar warme australische Sonne und die ihn umgebende warme Beuteltasche. Und der erste Windhauch, den Sid sanft durch sein Fell streichen spürt.

Ebenso bieten die Darstellungen der Gefühle Kindern die Möglichkeit, sich darin wiederzufinden. Die große Wut, die Sid empfindet, als er sich den Mamabeutel plötzlich mit einem kleinen rosa Wurm teilen muss, der sein Bruder sein soll. Die Geborgenheit, die Sid spürt, beim Blick in die liebevollen Augen seiner Mutter. Und die Verzweiflung und Hilflosigkeit, als er des Teilens des Beutels mit seinem kleinen Bruder Pat überdrüssig ist, seine Mama ihn aber noch für zu klein für erste Sprungversuche befindet.

Mehr Verständnis für Kängurukinder, bitte!

An einigen Stellen werden Klischees bedient, Werte und Anschauungen vermittelt, mit denen wir nicht übereinstimmen. Als Sids Kängurumama beim Aufräumen ihres Beutels auf seine Stein- umd Stöckchensammlung stößt und beklagt, dass Kinder keine Ordnung halten können. Als die Mutter ihre beiden Söhne fragt, was nur die anderen Kängurus denken sollen, wenn sie so streiten. Als sich Sid beim Sturz nach seinem ersten Sprung aus dem Beutel die Tränen verkneift. Oder wenn für die Kängurukinder andere Regeln gelten als für die Erwachsenen, die im Gegensatz zu den Kleinen mit vollem Mund – pardon, Maul – reden dürfen.
Fühlt euch auf Augenhöhe mit den Großen. Streitet und vertragt euch. Weint und lasst euch trösten, flüstern wir da leise den Kängurukindern zu.

Unser Wunsch: Bunte Bilder für kleine Leser

Dass der Roman kaum Illustrationen enthält, verrät bereits der erste Blick in das Buch, den Barbara Rath auf ihrer Internetpräsenz gewährt. Kapitelweise springt ein und dieselbe Känguru-Grafik, schwarz-weiß und hin und wieder gespiegelt, über die Seiten. Im letzten Teil des Buches, der Hintergrundinformationen enthält, finden sich einige weitere kleine Abbildungen – Hund und Dingo, Schafe, Wombat, Schnabeligel und Schlange. Diese stammen allesamt von Plattformen, die gemeinfreie Bilder anbieten. Ebenso das Titelbild ist von der Autorin selbst mit diesen Grafiken erstellt worden.

Auch wenn die Illustration des Buches kein Geheimnis ist, fehlen uns hier und da ein paar bunte Bilder, handelt es sich doch um ein Kinderbuch mit einer Altersempfehlung ab sechs Jahren. Für Leseanfänger dieses Alters ist die Schrift zudem sehr klein und unterscheidet sich nicht von der eines Romans für Erwachsene. Aufgrund des hervorragenden Leseflusses und der spannenden Tiergeschichte ist es allerdings durchaus lohnenswert, die Vergrößerungsfunktion des E-Book-Readers zu bemühen.

Umfangreiches Angebot an Zusatzmaterial

Wer nach der Lektüre gar nicht genug bekommen kann von Sids Abenteuern im australischen Busch, kann das umfangreiche Zusatzmaterial erkunden, welches Barbara Rath kostenfrei zur Verfügung stellt – ein Bilder- und ein Hörbuch, zwei kurze Filme zum Kinderbuch sowie Literaturbegleitmaterial für Lehrer und eine Autorenlesung.
Das Bilderbuch, ebenfalls eigens von Barbara Rath mit gemeinfreien Abbildungen gestaltet, ist übrigens eine abwechslungsreiche Alternative besonders für jüngere Kinder. Auf komplett farbigen Seiten und mit weniger Text begleiten sie Sid bei seiner ersten Begegnung mit Regen.

Wir beobachten derweil weiter die Kängurufamilie im Zoo. Das Junge ist – bereit für seinem nächsten Ausflug – aus dem Beutel gehüpft.

Sid – ein kleines Känguru sucht im australischen Busch seine Familie
Barbara Rath (Text und Illustration; Abbildungen mit Genehmigung von „openclipart“)
Altersempfehlung: ab 6 Jahren
Taschenbuch, 128 Seiten/E-Book
20.32 x 12.7 cm
Barbara Rath
22. Juli 2017
ISBN: 978-1521884355
6,49 Euro/2,99 Euro

Fotos: Anja Jürges/STADT LAND WELTentdecker
Cover/Grafik: © 2017 Barbara Rath, mit Genehmigung von „openclipart“

* Für den Beitrag wurde uns ein Rezensionsexemplar des Buches „Sid – ein kleines Känguru sucht im australischen Busch seine Familie“ zur Verfügung gestellt, er ist demnach Werbung. Der Text ist unbezahlt und zeigt lediglich unsere Erfahrungen und Meinung. DANKE für das Buch und die offene und freundliche Kommunikation, liebe Barbara! ♡

Weitere Buchentdeckungen findet ihr hier.

12 Kommentare

  1. Liebe Anja!
    Ganz herzlichen Dank, dass du mein Kinderbuch so schön in Szene gesetzt & rezensiert hast!
    Liebe Grüße,
    Barbara

  2. Hallo,
    die Geschichte ist bestimmt für Kinder spannend. Allerdings finde ich auch, dass bei Kindern zur Anregung der Fantasie Bilder wichtig sind. Gut und interessant finde ich, dass es noch umfangreiches Zusatzmaterial zum Buch gibt.
    Lg Ute reist

    • Liebe Ute,
      so sehen wir es auch. Das Zusatzmaterial ist wirklich sehr umfangreich und bequem über die Internetseite der Autorin herunterzuladen. Für diejenigen, die Bilder allzu sehr vermissen, gibt es dort auch ein Bilderbuch.
      Herzlichen Gruß
      Anja

  3. Eine niedliche Idee für Leseanfänger. Das Cover finde ich sehr ansprechend! Ich finde Kängurus als Tiere sehr faszinierend, daher musste ich auch schmunzeln über die schöne Initiierung auf deinen Bildern.

    Viele Grüße Eileen von eileens-good-vibes

  4. Solche Geschichten finde ich für Kinder so toll. Ich wünschte solche tollen Bücher hätte es zu meiner Kindheit gegeben. Liebe Grüße Claudia

  5. Ich habe das ja schon gestern gesehen und finde das richtig süß gestaltet. Nicht nur das Cover, was sehr süß ist, sondern auch die Geschichte gefällt mir sehr gut. Toll geschrieben und perfekt zum Vorlesen.

    Danke fürs Vorstellen.

    Liebe Grüße
    Julia

  6. Ich habe das Buch gestern schon auf Facebook entdeckt und finde die Geschichte rund um Sid richtig goldig! Was mir besonders gut gefällt, ist dass die Wortwahl auf das kleine Känguru abgestimmt ist! Bei den Wollknödeln musste ich erstmal schmunzeln! Ich mag solche Wortneuschöpfungen 🙂

    Liebe Grüße
    Jana

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