BUNTE HERBSTBLÄTTER BITTEN ZUM TANZ (Rezension: Die tanzende Waldmaus)

* Einen riesengroßen herbstbunten Blätterberg hat Omi im Garten zusammengeharkt. Gerade eben, wie gut. Denn so können wir uns sicher sein, dass das hindurchflitzende Kind keinen winterschlummernden Igel stört. Wild werfen also Kinderhände das Herbstlaub in die Luft, flitzt der kleine Mensch durch den farbenreichen Blätterregen. Welch zauberhaftes Schauspiel.

Ähnlich verzaubert von der herbstlichen Blätterpracht ist die kleine Protagonistin aus Pirkko-Liisa Surojegins Kinderbuch „Die tanzende Waldmaus“, kürzlich erschienen im Verlag Urachhaus. Dabei war die Maus gerade noch zutiefst betrübt. Denn aufgrund ihrer Größe konnte sie nur dasitzen und zusehen, während alle anderen Waldbewohner ausgiebig Pilze sammelten. Anstatt jedoch anschließend ihre tierischen Freunde zum großen Pilzfest zu begleiten, bleibt die Maus im Wald zurück. Auf dem Boden liegend, zwischen den Baumriesen, kommt sie sich selbst noch viel kleiner vor. Als dann auch noch erste Herbstblätter auf sie hinab segeln und sie zudecken, scheint sie fast zu verschwinden. Wütend schubst sie die Blätter von sich. Eines versucht sie zu greifen, doch der Wind ist schneller und weht es fort. Ein weiteres Blatt wirbelt durch die Luft und noch eines. Und noch eines. Und mittendrin tanzt – die Maus. Beschwingt und voller Freude. Glücklich und hungrig gesellt sie sich doch noch zum Bär, den Füchsen, Wölfen und Dachsen, den Hasen, Eichhörnchen und anderen Mäusen. Und bringt schließlich alle – zum Tanzen.

Worte zeigen Wertschätzung und Respekt

In einfühlsamen Worten und kindgerechten Satzkompositionen beschreibt Pirkko-Liisa Surojegin die anfangs missliche Lage der Waldmaus. Die freiberufliche Autorin und Illustratorin aus Finnland ist dabei an keiner Stelle den Fähigkeiten und dem Sein der kleinen Protagonistin gegenüber geringschätzend. Im Gegenteil. Die Maus ist klein, die Trompetenpfifferlinge sind groß. Zu groß, als dass die Maus sie sammeln könnte. Es ist, wie es ist. Nicht mehr, nicht weniger. Zumindest für alle anderen. Denn die übrigen Waldtiere haben die Kleinste der Runde offenbar dennoch gern dabei. Während die Größeren Pilze suchen, beobachtet die Maus sie von einem Stein aus. Sie ist mittendrin im herbstlichen Waldgewusel. Und auch zum anschließenden Pilzschmaus ist sie selbstverständlich eingeladen. Wäre sie weniger in sich gekehrt, so würde sie spüren, wie willkommen sie ist, wie wertvoll ihre bloße Anwesenheit für ihre Freunde. Doch Traurigkeit, Verzweiflung, Hilflosigkeit und Wut versperren ihr den Blick darauf.

Beinahe hätte sie dadurch das gemütliche Beisammensein bei dampfender Pilzsuppe verpasst. Wären da nicht die bunten Blätter gewesen. Und der Herbstwind, der sie allesamt zum Tanzen brachte – Blätter und Maus. Und ihr damit eine ganz besondere Fähigkeit zeigte, von der sie bis dahin selbst nicht einmal gewusst hatte.

Geschichte macht Mut, die eigenen Fähigkeiten zu entdecken

Ohne dabei belehrend zu wirken, macht Pirkko-Liisa Surojegin mit der anrührenden und warmherzigen Geschichte der tanzenden Waldmaus deutlich, dass Freundschaft und unser Wert unabhängig sind von unseren Fähigkeiten. Und dass wir letztere nur mit Mut und Offenheit kennenlernen können. Eine wunderbare Botschaft, besonders in einer Gesellschaft, die immer mehr Leistung fordert, bereits von den kleinsten Menschen.

Stimmungsvolle Illustrationen schaffen zusätzliche Erzählebene

Die stimmungsvollen Illustrationen der studierten Grafikdesignerin komplettieren das Bild der aufrichtigen und tiefen Freundschaft zwischen den Tieren des Waldes. Eine respektgetragene und gutmütige Freundschaft, in der Leistung und Fähigkeiten irrelevant sind. Jeder macht genau das, was er kann. So teilen sie Erlebnisse und erreichen Ziele. Auf dem Weg dorthin trägt der Bär die traurige Maus, der Wolf den erschöpften Hasen, Fuchs und Dachs den schweren Pilzkorb samt Eichhörnchen obendrauf. Und am Ende feiern sie gemeinsam ein Fest. 
Die Farbstimmung der detailreichen Zeichnungen ist getragen vom Grün des Waldes. Und wenngleich dieser dicht bewachsen scheint, so ist die Atmosphäre doch – passend zur Geschichte – eine freundlich-helle. Die Tiere leuchten regelrecht zwischen den nebelumwobenen Bäumen hervor – der braune Bär, die orangeroten Füchse und die weißen Hasen.

Kunstvolle Zeichnungen bringen uns mitten in den nordischen Wald

In unzähligen fein gesetzten Strichen angelegt, transportieren die Bilder ein umfassendes Gefühl von Wald. Beim Betrachten sind wir mittendrin, den typischen Geruch nach Tannennadeln und Moos inklusive. Der dicht grasbedeckte Waldboden wirkt, als würden die Füße beim Gehen watteweich darin einsinken. Das Laub in herbstlichen Farben streicht lautlos durch die Luft. Und das weiche Fell der Tiere lädt zum sanften Ankuscheln ein. Doch halt, der letzte Punkt bringt uns zurück in die Geschichte, schließlich sind die flauschigen Charaktere in Wirklichkeit wild und wenig kuschelfähig.

Hier aber tragen auch ihre Gesichter menschelnde Züge, deren Emotionen Pirkko-Liisa Surojegin facettenreich zeigt. Die Spanne reicht von der tiefen Verzweiflung der Waldmaus während der Pilzsuche bis zur unbeschwerten und überschwänglichen Freude beim Tanz derselben. Dazwischen stehen zum Beispiel die über den Kummer ihrer kleinsten Freundin besorgten Gesichter der Waldtiere, die später wohlig ihre warmdampfende Suppe genießen und sich schließlich anfangs unsicher, später glückselig an den Tanzschritten der Maus versuchen.

Raffinierte Buchgestaltung lässt Worte und Bilder in ihrer ganz eigenen Sprache sprechen

Die intensiven Illustrationen sind von hohem Stellenwert für die Geschichte. Sie bilden nicht nur das Erzählte ab, sie erzählen selbst. So kommen vier doppelseitige Zeichnungen gänzlich ohne Worte aus. Buchgestalterisch äußerst raffiniert sind die Vorsatzseiten mit in die Handlung eingebunden. Vorn sehen wir die Tiere bei der Pilzsuche und steigen damit sanft in das Geschehen ein. Im Laufe der Handlung sprechen zwei weitere Bilder botschaftstragender Szenen ebenfalls für sich: die große Tafel mit gemeinschaftlich suppenschlemmenden Tieren und die den Maustanz tanzenden Freunde. Das Vorsatzpapier hinten zeigt die suppensatt und tanzesmüde zufrieden schlafenden Waldbewohner. Ein harmonischer Schluss, dem in der Tat nichts hinzuzufügen ist. Außer dem hinteren Buchdeckel. Grandiose Umsetzung. 

Die Textpassagen fügen sich unaufdringlich in die seitenfüllenden Zeichnungen, stellen sich zurückhaltend an die Seite kleinerer Bilder oder tanzen, wenn es die Situation hergibt, zwischen Herbstlaub und Waldmaus. Lediglich auf einer Seite wirkt es, als sei der dunkelgrüne Waldboden für das Textfeld etwas ausgewaschen worden. Hier hätte uns eine Variante mit geringerem Eingriff in die Zeichnung eher zugesagt.

Zeitlose Bilderbuchgeschichte von Freundschaft und dem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten

Ein Blick auf das Jahr der Veröffentlichung des finnischen Originals unter dem Titel „Metsähiiren tanssi“ – 1990 – zeigt die zeitlose Schönheit der Bilder und Worte Pirkko-Liisa Surojegins, letztere übersetzt von Peter Uhlmann. In der Gesamtheit eine zauberhaft herbstliche Bilderbuchgeschichte von Freundschaft, Mut, Selbstwert und dem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.

Wir harken inzwischen die kreuz und quer auf der Wiese verteilten Blätter wieder zu einem üppigen Haufen zusammen. Schließlich hatten wir unseren magischen Herbstmoment damit. Nun sind die Igel an der Reihe.

Titel: Die tanzende Waldmaus
Urheber: Pirkko-Liisa Surojegin
Altersempfehlung: ab 4 Jahren
Umfang: 24 Seiten, Gebunden
Maße: 26.5 x 20 cm
Herausgeber: Verlag Urachhaus
Veröffentlichung: 1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8251-5209-3
Preis: 16,00 Euro

Original Titel: Metsähiiren tanssi
Original Verlag: Otava, Helsinki
Original Sprache: Finnisch
Übersetzer: Peter Uhlmann

Fotos: Anja Jürges/STADT LAND WELTentdecker
Cover/Titelgrafik: Verlag Urachhaus

* Für den Beitrag wurde uns ein Rezensionsexemplar des Buches „Die tanzende Waldmaus“ zur Verfügung gestellt. Der Text ist unbezahlt und zeigt lediglich unsere Erfahrungen und Meinung. DANKE für das schöne Buch und die vertrauensvolle, unkomplizierte und herzliche Kommunikation, liebe Claudia Rehm! ♡

Unsere Rezensionen zu weiteren Titeln von Pirkko-Liisa Surojegin findet ihr hier. Weitere Bücher aus dem Verlag Freies Geistesleben & Urachhaus stellen wir euch hier vor. All unsere BUCHentdeckungen sind hier gesammelt.

14 Kommentare

  1. Huhu, die tanzende Waldmaus ist aber süß.
    Die Bilderbuchgeschichte für Kinder klingt sehr gut und macht sicherlich viel Spaß für die Kleinen. Auch super als Geschenkidee.
    Liebe Grüße von melissawxc.de

  2. Allein der Blick ins blaue Mäusegesicht sorgt für gute Laune.
    Ich glaube, für Kinderbücher werde ich nie zu alt. Zumal es viele schöne Bücher mit tieferem Sinn gibt.

    Danke für die schöne Vorstellung.
    Liebe Grüße, Katja

  3. Liebe Anja,
    Das klingt mal wieder nach einem tollen Kinderbuch, das du uns hier vorstellst. Ich bin ein großer Fan der Waldbewohner, und Fuchs und Dachs finde ich einfach wundervoll. Das Setting gefällt mir gut – denn die Botschaft, dass nicht jeder alles kann und können muss, finde ich super. Ich hoffe, dass dadurch einigen Kindern der Wert von Freundschaft und Zusammenhalt vermittelt werden kann.
    Liebe Grüße von Miriam von Nordkap nach Südkap

    • Liebe Miriam,
      (Kinder-)Bücher sind unheimlich wertvoll, was das Vermitteln von Werten angeht. Uns ist es wichtig, dass dies niemals mit erhobenem Zeigefinder, sondern respektvoll geschieht. Und das ist hier ganz klar der Fall. 🙂
      Herzliche Grüße
      Anja

  4. Oh Pilze und bunte Blätter sind ja auch meine Welt! Ich war heute wieder mit unserem Hund im Wald und habe Ausschau nach Maronen, Steinpilzen und Pfifferlingen gehalten, habe aber nur Erstere gefunden! Egal, eine dampfende Pilzsuppe wird zwar nicht draus, aber eine leckere Beilage zum morgigen MIttagessen!

    Das Buch spricht mich wieder sehr an! Ich finde, du hast da echt ein Händchen für besondere Geschichten! PS: Morgen wird es bei uns auch um bunte Blätter gehen!

    Liebe Grüße
    Jana

  5. Liebe Anja,

    deine Kinderbuch-Rezensionen lese ich so gern. Du nimmst mich immer mit in die jeweilige Geschichte und analysiertt das Buch so ergreifend, dass ich immer genau weiß, ob das auch etwas für mich ist.

    Das Thema finde ich herrlich und noch besser, dass es der Autorin so gut gelungen ist es umzusetzen. Illustrationen sind besonders in Kinderbüchern immer extrem wichtig, klasse, dass diese hier noch die Geschichte durch ihre eigene Erzählebene erweitern. So ist das Buch nicht nur passend für die Herbstzeit, sondern sicherlich auch ganzjährig ein Gewinn.

    Liebe Grüße
    Mo

  6. Das klingt ja nach einer unglaublich süßen Geschichte. Unser Bub kommt diesen Monat – und ich freue mich ja total darauf, wenn wir Abends das Vorlesen in unser Abendritual integrieren. Das Buch werd ich mir auf jeden Fall merken. Bücher mit tieferem Sinn find ich so wertvoll! Freue mich schon riesig drauf, dem Kleinen solche Geschichten vorzulesen 🙂 danke für den tollen Tipp!

    liebe Grüße
    Alice von alicechristina.com

  7. Das klingt nach einem schönen Kinderbuch. Bestimmt ein schönes Geschenk.

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