GESUCHT: SCHNEE. (Rezension: Wer hat den Schnee gestohlen?)

* „Ist der Schnee noch da?“, fragt das Kind jeden Morgen nach dem Aufwachen als erstes und läuft zum Fenster, um sich zu vergewissern. Regelgerecht kostbar sind die weißen Flocken, aus denen es sich herrlich Schneemänner, -frauen und -tiere bauen lässt und die, in der Sonne glitzernd, zum Rodeln einladen. Schließlich sind sie in unseren Breiten selten zu Gast.

Ähnlich geht es wohl der kleinen Gerda aus dem Kinderbuch „Wer hat den Schnee gestohlen?“ von Yaroslava Black und Ulrike Jänichen, herausgegeben vom Verlag Urachhaus. Denn seit drei Jahren schon hat es bei ihr nicht mehr geschneit. Als die Leute aus dem Ort dann auch noch sagen, der Schnee könne ihnen gestohlen bleiben, ahnt das Mädchen Schlimmes: den Raub der weißen Winterpracht.

Gerda begibt sich also auf die Suche. Und findet statt des Übeltäters eine Möglichkeit, den Schnee zurück zu holen. Sie wünscht es sich so sehr, dass das Wunder Wirklichkeit wird. Oder hat doch etwa ihre Patentante aus den Karpaten etwas damit zu tun?

Klangvolle Sprache, die kinderaugengleich jede Kleinigkeit erfasst

Ausgesprochen feinfühlig erzählt Yaroslava Black Gerdas Geschichte. Die gebürtige Ukrainerin macht auf sanfte Weise die Verzweiflung über die vergangenen schneelosen Winter und die kindliche Sehnsucht nach den kaltweißen Flocken deutlich. Gerdas verzweifelter Versuch, den Schneedieb zu finden, endet in einem heftigen Gefühlsausbruch und tiefer Hilflosigkeit. Deren stechenden Schmerz wir regelrecht spüren. Wie gut, dass Gerdas Papa eine Idee hat.

Gerdas selbstverfasster Brief schließlich bringt ihr Sehnen und den unerschütterlichen Glauben an die Kraft ihres Wunsches aufs Allerdeutlichste zum Ausdruck. Es ähnelt dem kindlichen Vertrauen in die Gewissenhaftigkeit des Weihnachtsmannes, wenn es um Wunschzettel geht. Mit dem Unterschied, dass Gerda sich mit ihrer Bitte und ihrem Gebet an Gott wendet. Und ihre Patentante in den Karpaten ein klitzekleines bisschen mithilft.

Für uns völlig unproblematisch, hätten wir doch erwartet, dass der christliche Bezug, so minimal er auch sein mag, im Klappentext Erwähnung findet. Für den ein oder anderen Leser ist schlicht die Kaufentscheidung davon abhängig.

Ringsum fangen Yaroslava Blacks Worte wie neugierige Kinderaugen jede Kleinigkeit ein, die ihnen in den Blick gerät. Die studierte Philosophin und Philologin zeigt uns in klangvoller Sprache das Treiben auf den wintergrauen Straßen und den Alltag einer Familie mit drei Kindern, wie sie sind – voller Abenteuer, wild und lebendig. Herrlich.

Zeichnungen, so komplex und tief wie Kinderfantasien

Diese Lebendigkeit der Sprache und die Sicht durch Kinderaugen findet in Ulrike Jänichens Zeichnungen ihre Entsprechung. Die studierte Buchgestalterin und freie Künstlerin bringt in gleichermaßen ungewöhnlich wie ansprechend arrangierten Bildkompositionen die Fülle an Details und Wundern aufs Papier, die uns alltäglich begegnet. Wenn wir nur hinsehen. Sie öffnet den Blick für das (un-)wesentliche Schöne.

Da sind zum Beispiel die Wolken am Himmel, die eigentlich Schäfchen sind. Und dort ziehen Kinder mit Schlitten beladene Papierschiffchen an Fäden durch regennasse Straßen. Zuhause machen Tierfiguren, Perlen und gebastelte Papiersterne den Frühstückstisch bunt.

Auf den ersten Blick muten die Zeichnungen an wie von Kinderhand gemalt. Doch alle liebevoll gestalteten Bildelemente sind so raffiniert miteinander verwoben, dass die Illustrationen eine ganz besondere Tiefe und Komplexität besitzen. Die akkurat in Reihe platzierten Tannenbäumchen im Blumenladen beispielsweise sind für sich allein schon weihnachtliches Muster. Jeder Zweig besteht zudem aus vielen, vielen dunkelgrünen Kreuzen, wie auf ein Tischtuch gestickt. Und als es endlich schneit, ist Gerdas dunkelblaues Kleid über und über mit filigranen Schneeflocken verziert. Halb ist es der Himmel, der just in dem Moment das Dorf weiß bedeckt. 
Das Vorsatzpapier umschließt die Geschichte wie ein Rahmen. Vorn ziehen die beiden großen Geschwister, Gerda und Mattis, die jüngste der Familie, Liv, im Rollwagen. Zwischen kahlen Winterbäumen auf schneelosem Boden. Hinten ist das Wäldchen winterweiß, ein fröhlicher Schneemann hat sich zu den Bäumen gesellt. Und das kleine Mädchen thront auf dem Schlitten.

Wintergeschichte von der Kraft der Wünsche

Ein winterliches Kinderbuch, traumhaft schön. Mit einem ungemein hohen Wiedererkennungswert – den poetischen Sprachstil und die kunstvollen Illustrationen betreffend. Eine Bilderbuchgeschichte von Sehnsucht, dem Rückhalt der Familie und der Kraft kindlicher Wünsche.

Die auch wir spüren. Denn seit drei Tagen ist die Welt beim morgendlichen Blick aus dem Fenster puderzuckerweiß.

Titel: Wer hat den Schnee gestohlen?
Urheber: Yaroslava Black (Autorin), Ulrike Jänichen (Illustratorin)
Altersempfehlung: ab 3 Jahren
Umfang: 32 Seiten, gebunden
Maße: 21.5 x 25.5 cm
Herausgeber: Verlag Urachhaus
Veröffentlichung: 1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-8251-5176-8
Preis: 16,00 Euro

Fotos: Anja Jürges/STADT LAND WELTentdecker
Cover/Titelgrafik: Verlag Freies Geistesleben & Urachhaus

* Für den Beitrag wurde uns ein Rezensionsexemplar des Buches „Wer hat den Schnee gestohlen?“ zur Verfügung gestellt. Der Text ist unbezahlt und zeigt lediglich unsere Erfahrungen und Meinung. DANKE für das schöne Buch und die vertrauensvolle, unkomplizierte und herzliche Kommunikation, liebe Claudia Rehm! ♡

Weitere BUCHentdeckungen aus dem Verlag Freies Geistesleben & Urachhaus findet ihr hier. All unsere BUCHentdeckungen sind hier gesammelt.

10 Kommentare

  1. Liebe Anja,

    oh, ich kann die kleine Gerda gut verstehen. Jedes Jahr um den 24.12. herum frage ich mich, wer wohl dieses Jahr wieder verhindert hat, dass es schneit. Da hilft es auch nicht, dass statt gefrorenen weißen Flocken, durchsichtige Tropfen auf die Erde platschen.

    Ich mag die Art, wie du Kinderbücher vorstellst, total gern. Jedes Mal habe ich Lust die Bücher ebenfalls zu entdecken. Hier wäre ich jetzt tatsächlich auf die Illustrationen gespannt.

    Liebe Grüße
    Mo

    • Liebe Mo,
      danke für dein liebes Lob. 🙂
      Auf der Buchseite des Verlages gibt es eine Auswahl an Illustrationen aus dem Buch zu sehen. Schau dich dort gern mal um, vielleicht entdeckst du ja sogar etwas, was dir und deinem Lesejunior gefallen könnte. 🙂
      Herzliche Grüße
      Anja

  2. Wow das klingt nach einem wunderschönen Bilderbuch. Ich werde es mir mal für den kommenden Winter merken.

  3. Schöne Geschichte! Hier auf Fuerteventura kann ich die Geschichte besonders gut nachvollziehen. Obwohl: Die Kinder hier haben wohl noch nie weiße Flocken gesehen.:-) Schade, dass wir die Illustrationen nicht sehen können, aber klar – Urheberrechte sind heilig… Klingt jedenfalls nach einem tollen Buch.
    LG Renate von Trippics

  4. Als ich den Namen Gerda las, musste ich spontan an die Eiskönigin denken! Heißt das Mädchen dort nicht auch Gerda? Mir ist gerade so!

    Hier bei uns gab es im vergangenen Jahr auch nicht viel Schnee und jedesmal nach dem Aufwachen hab ich erstmal einen Blick aus dem Fenster geworfen, ob der noch da ist! Aber meist war alle schon geschmolzen! Als Kind mochte ich das Weiß aber lieber als heutzutage, trotzdem kann ich Gerdas Wunsch nachvollziehen!

    Liebe Grüße
    Jana

  5. Liebe Anja,
    Ein wenig neidisch bin ich auf den Schnee bei euch. Ich liebe Schnee und hier gab es bisher nur ein paar Flocken.
    Das klingt nach einer schönen Geschichte und Gerdas Wunsch kann ich sehr gut nachvollziehen. Da ich bei Gott und Religion aber raus bin, wäre es kein Buch, das für mich infrage kommt. Deshalb hätte ich mich wohl auch geärgert, wenn ich es erst während des Lesens bemerkt hätte.
    Beste Grüße von Miriam von Nordkap nach Südkap

    • Liebe Miriam,
      das kann ich gut verstehen – wenn man mit Religion so ganz und gar nichts anfangen kann, ist es ärgerlich, erst während des Lesens von dem (in diesem Fall wirklich dezenten) Bezug zu erfahren. Gewiss gäbe es in einem solchen Fall die Möglichkeit, das Buch zurück zu geben. Ärgerlich ist es dennoch.
      Herzliche Grüße
      Anja

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