KUNTERBUNTE GEFÜHLEWELT (Rezension)

* Wild wirft das Kind auf dem Spielplatz mit liegengebliebenen Blättern aus dem längst vergangenen Herbst um sich. Es ist völlig aufgelöst, weint und wütet. Ganz klar, denn der Stock ist zerbrochen, mit dem es eben noch herrliche Spuren in den Sand gezogen hat.

Auf seiner rechten Schulter sitzt eine kleine rote Gestalt mit lang herabbaumelnden Beinen. Die Arme kraftvoll nach oben gerissen, zeigt es uns seine scharfen Krallen. Die Auenbrauen grimmig zueinander gedrückt, die Mundwinkel verkrampft gekräuselt nach unten gezogen und mit zwei Hörnern auf dem Kopf, sieht es genau so aus, wie sich das Kind wohl fühlen muss.

Besuch der bunten Gefühlewesen

Es ist die Wut, die das Kind besucht. So lange, bis sie genug Raum hatte. Bis sie gesehen und gehört wurde. Bis sie rausgebrüllt und rausgestampft ist. Dann klettert die zornrote Figur die im Wind wehende winzige Strickleiter hinauf. Bis in sein Raumschiff. Schickt noch schnell die Freude hinunter und braust davon.

Die Freude ist kullerrund und warmgelb, mit Lachmund und fröhlich-neugierigem Blick. Juchzend reißt sie ihre Arme hoch. Und das Kind mit – es springt erleichtert auf, als es im Geäst der umliegenden Büsche einen neuen Stock für schöne Sandmuster findet. Noch größer als der, der vorhin kaputt gegangen war.

Hell- und Dunkelblau, Gras- und Tannengrün – wir haben noch einigen Besuch im Laufe des Tages. Mal mehr, mal weniger willkommen. Aber immer durchaus berechtigt und oft sogar äußerst hilfreich. Wenn uns die kleine dunkelblaue Angst mit ihren großen Kulleraugen zum Beispiel davon abhält, auch noch auf die höchste Stufe des Kletterturms zu steigen.

Mit dem Raumschiff zu den Menschen

Ähnlich geht es Ramin aus Clemens Fobians Kinderbuch „Die Gefühle Bande“, gezeichnet von Mirjam Zels. Der Junge hat die meisten Gefühle zwar schon gespürt, aber kennengelernt hatte er sie bislang noch nicht. Als er jedoch im dunklen Gebüsch seine neue Taschenlampe ausprobiert, findet er sie zufällig, die sechs kleinen Wesen.

Trauer, Wut, Freude, Ekel, Aufgeregt und Angst – allesamt sind sie betrübt, denn sie haben ihren Zauberstein verloren. Nur mit diesem können sie mit ihrem Raumschiff zu den Menschen fliegen. Ramin und sein Hund helfen bei der Suche und werden fündig.

Gefühle dürfen zu Freunden werden

Beim Abschied ist Trauer mit seinem rosa Sternchentaschentuch ganz nah bei Ramin. Er ist wehmütig, denn er möchte seine neuen Freunde nicht gehen, oder besser: fliegen, lassen. Doch sie versichern ihm, wiederzukommen. Sogar herbeiwünschen kann er sich seine liebgewonnenen Gefühle. Und wieder wegschicken, wenn er genug von einem hat.

Clemens Fobian transportiert mit Ramins Geschichte, dass Gefühle richtig, wichtig und nützlich sind, auch wenn wir sie manchmal als unangenehm empfinden. Und dass wir ihnen nicht hilflos ausgeliefert sind. Eine ungemein stärkende Botschaft, die uns unsere Selbstwirksamkeit in Bezug auf unsere Gefühle bewusst macht. Nicht nur für kleine WELTentdecker, auch für so manchen Erwachsenen eine Bereicherung. In einfachen Worten und verständlichen Sätzen lässt uns der Autor wie Ramin mit den kleinen Gefühlewesen Freundschaft schließen.

Gleichzeitig gibt er uns einen Lösungsansatz mit auf den Weg, um sie loszuwerden, wenn sie mal wieder allzu anhänglich sein sollten. Und der ist denkbar einfach: Wir müssen ihnen lediglich laut und deutlich sagen, dass sie jetzt gehen sollen.

Wut, Freude, Trauer: Eigenheiten und Nutzen

Im letzten Teil des Buches lernen wir die sechs Gefühle – Angst, Wut, Trauer, Freude, Ekel und Aufgeregt – im Detail kennen. Die kleinen bunten Gestalten stellen sich vor und erklären, was in den Menschen vor sich geht, die sie besuchen. Clemens Fobian, seinerseits Mitbegründer der Fachberatungsstelle basis-praevent, die bei sexueller Gewalt gegenüber Jungen berät, arbeitet dabei sensibel auch den Nutzen der Gefühle heraus. Was Unterstützung dabei sein kann, sie anzunehmen und vielleicht sogar als Geschenk zu begreifen. Wenn uns die Wut beispielsweise aus Situationen hilft, in denen wir uns unwohl fühlen. Oder uns die Angst davor bewahrt, gefährliche Dinge zu tun.

In den Erklärungen der Gefühle wechselt der Autor leider in den Anreden zwischen du und wir, dem unbestimmten man und Mensch. Holprig. Und dem Verständnis wenig zuträglich. Eine klare sprachliche Linie würde dem entgegenwirken.
Eine weitere Unstimmigkeit gibt es in der Benennung der Gefühle: Angst, Wut, Trauer, Freude und Ekel stehen Aufgeregt, fünf Substantive also einem Adjektiv gegenüber.
Bei einer entsprechenden Überarbeitung für die nächste Auflage werden gewiss auch die zwei Kasus-Fehler und der in der Wahl des Personalpronomens behoben.

Illustrationen laden zum Gespräch über eigene Empfindungen ein

Auf der Bildebene begleitet die studierte Illustratorin Mirjam Zels mitnichten nur die Handlung. Sie gibt den Gefühlen Gesichter. Sie bricht mit gängigen Stereotypen. Und gibt mit detailreich ausgestalteten Zeichnungen jede Menge Gelegenheiten, um miteinander ins Gespräch zu kommen und eigene Geschichten zu erfinden.

So begegnet uns Ramin in blau-weiß gestreiftem Pullover und rosaroter Latzhose. Sein Papa ist es, der ihn abends nach dem Zähneputzen ins Bett bringt und ihm die Gute-Nacht-Geschichte vorliest. Den Vormittag mit ihm im Garten verbringt. Und ihn nachts bei Angst gemeinsam mit der Mama im Elternbett empfängt.

Zeichnungen geben Gefühlen Gesichter

Die für die Handlung entscheidenden Bestandteile der an Collagen erinnernden Zeichnungen sind klar herausgearbeitet und äußerst kindgerecht arrangiert. Gleichzeitig reichen im Bild dargestellte Kleinigkeiten bis zum Klebestreifen, der die Kinderzeichnung an der Wand hält, zu fein gemusterten Gardinen und Lampenschirmen, und zum Regenwurm unter einem großen Stein.

Die Darstellung der kleinen Gefühlewesen ist enorm ausdrucksstark. Ohne Erklärungen und Beschriftungen sind sie eindeutig den Empfindungen zuzuordnen. Schon die jüngsten Zuhörer und Leser können sich so in den bunten Gestalten wiederfinden. Die spürbare und doch so abstrakte Thematik unserer Gefühle wird sicht- und greifbar.

Gefühle: Ständige Begleiter

Wir haben die kleinen Gefühlefiguren nun sehr regelmäßig dabei. Sie klammern sich an den Lenker des Laufrades, wenn die durchfahrene Pfütze besonders tief und holprig ist, sie reichen uns bei Tränen ein Tüchlein, sitzen beim Bücherlesen an uns gekuschelt und begleiten uns auf den Spielplatz.

Wo inzwischen der zweite Stock – knacks – durchgebrochen ist. Die Wut ist da und wir lassen sie einen Augenblick bleiben. Mit einem lauten „Wut, du sollst jetzt gehen!“ schicken wir sie schließlich davon. Der nächste Stock ist schnell gefunden.

Die Gefühle Bande
Clemens Fobian (Autor), Mirjam Zels (Illustratorin)
Altersempfehlung: ab 4 Jahren
36 Seiten, gebunden
22 x 22 cm
Marta Press UG
2018
ISBN: 978-3944442778
16,00 Euro

Fotos: Anja Jürges/STADT LAND WELTentdecker
Cover/Titelgrafik: Verlag Marta Press/Mirjam Zels

* Für den Beitrag wurde uns ein Rezensionsexemplar des Buches „Die Gefühle Bande“ zur Verfügung gestellt, er ist demnach Werbung. Der Text ist unbezahlt und zeigt lediglich unsere Erfahrungen und Meinung. DANKE für das Buch und die herzliche Kommunikation, liebe Jana Reich! ♡

Weitere Buchentdeckungen findet ihr hier.

16 Kommentare

  1. Das liest sich, als wäre es ein richtig tolles Buch. So viel Phantasie – ich bin begeistert. Auch wenn ich keine Kinder habe, schaue ich mir das mal an. Ich finde, sowas sollten auch Erwachsene ruhig ab und zu lesen. Bin schon gespannt. Dein Beitrag hat mich neugierig gemacht…
    LG Renate von Trippics

  2. Liebe Anja,
    Ich bin einfach immer begeistert, was du für Bücher entdeckst und uns vorstellst. Ich finde es ganz toll, dass Kindern auf diese Art und spielerisch der Zugang zu Gefühlen gewährt wird und sie eingeladen werden, sich mit Gefühlen auseinander zu setzen. Dass das Buch dabei sprachlich etwas holprig ist, ist enorm schade. Ich hoffe, dass bei der nächsten Auflage sowohl die Personalpronomen als auch die Aufregung (das wäre doch so einfach und naheliegend!?!) angepasst werden.
    Liebe Grüße von Miriam von Nordkap nach Südkap

  3. So ein wichtiges Thema kindgerecht aufgearbeitet. Viele können, auch noch als Erwachsene, mit diesen Gefühlen nur schwer umgehen und flüchten in die Ablenkung.
    Alles Liebe
    Annette

  4. Das klingt nach einem ganz tollen Buch! Gefühlsausbrüche sind hier auch grad an der Tagesordnung… Erinnert mich auch ein bisschen an den Pixar Film „Alles steht Kopf“ den ich sehr mochte.

  5. Liebe Anja,
    ich finde es schön, dass das Kinderbuch einen pädagogischen Effekt für Kinder hat und ihnen ihre eigene Gefühlswelt näher bringt. Gerade für Kindergartenkinder halte ich das Buch für sehr gelungen und behalte es in Gedanken zum Verschenken. Danke für den schönen Kinderbuchtipp.
    Herzliche Grüße Vivienne

  6. Was für eine wunderbare Idee und Umsetzung. Sowas hätte uns vor vielen Jahren bestimmt weitergeholfen. Ganz, ganz toll. Danke fürs Vorstellen.
    Liebe Grüße
    Sandra

  7. Hallo,

    an sich ein schönes Buch was ja alles an sich annimmt wie Wut, Sauer, glücklich usw. Aber deine Anmerkung wie das mit wie und du finde ich schade. Gerade für Kinder sollte man auf solche kleine Probleme achten.

    Sonst vom Autor eine schöne und tolle Idee die ich gut finde.
    Tolle Vorstellung.

    Liebe Grüße
    Julia

    • Danke, liebe Julia. 🙂
      Die Unstimmigkeit in der Benennung der Gefühle hat uns auch irritiert. Dennoch ist es ein wunderbares Buch, das eine gute Grundlage schafft, um miteinander über Gefühle zu sprechen.
      Herzlichen Gruß
      Anja

  8. Das Buch erinnert mich stark an diesen einen Film, wie hieß er doch noch? Auf jeden Fall finde ich es toll, wenn Kindern so abstrakte Begriffe wie „Wut“, „Freude“ und „Trauer“ auf einfache Weise näher gebracht werden. Erlebt haben wir sie ja alle schon mal …

    Liebe Grüße
    Jana

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