RADTOUR MIT EINEM ENGEL (Rezension)

* „Mama, wie weit weg ist der Himmel?“, fragt mich das Kind. Ich ahne, worauf die Frage hinaus läuft. Und antworte: „Schrecklich weit weg.“ Ob wir dort wohl mal hin könnten, möchte das Kind wissen, nur zu Besuch. „Leider nicht“, lautet die Antwort.

„Engelsbrüderchen“: Geschwisterkind im Himmel

Ähnliche Fragen stellt Morris. Der aufgeweckte Junge aus Sofia Rutbäck Erikssons Kinderbuch „Engelsbrüderchen“, herausgegeben vom Verlag Marta Press. Vermutlich bekommt er ähnliche Antworten.

Doch er hat eine Idee. Oder eine Lösung für die verzwickte Lage. Regelmäßig lässt er sich von seinem Bruder besuchen. Sid wohnt zwar im Himmel. Schließlich ist er ein Engel. Doch immer, wenn Morris ihn braucht, taucht er auf. Wenn der grimmige Nachbarshund Morris anknurrt, lenkt Sid das Tier mit seinen Späßen ab und Morris huscht vorbei. Wenn ein Bach den Weg kreuzt, nimmt Sid Morris an die Hand und fliegt mit ihm hinüber. Und wenn Morris unsicher ist, macht Sid ihm Mut.

Am liebsten jedoch fahren die Geschwister gemeinsam Fahrrad. Morris fährt. Sid flitzt auf seinen knuffigen Babyfüßchen hinterher. Und pustet kräftig von rechts oder links, wenn Morris zu stürzen droht.

Wenn der beste Freund ein Engel ist

Sid redet zwar etwas seltsam, doch Morris versteht ihn. Sie spielen und zeigen sich gegenseitig ihre Welten, sie lachen miteinander und sind gemeinsam traurig. Darüber, dass nur Sid Morris besuchen kann. Dass sie sich immer wieder voneinander verabschieden müssen. Dass Morris sein Engelsbrüderchen niemals wirklich mit in seine Welt nehmen kann. Denn dann müssten sich Morris‘ Eltern nicht ständig um ihn sorgen.

Morris könnte einsam sein, denken sie nämlich. Freunde möchte er nicht einladen und auch nicht mit ihnen spielen. Stattdessen fährt er Fahrrad. Bei jeder Gelegenheit. Allein. In den Augen der Eltern. Doch in Wirklichkeit ist sein kleiner Begleiter immer dabei. Gemeinsam schaffen sie beinahe alles. Letztlich sogar den Weg zurück zu Morris Freunden.

Respektgetragene Worte für Geschwister (und Eltern)

Mit einfühlsamer Leichtigkeit, ohne jedoch an irgendeinem Punkt zu trivialisieren, beschreibt Sofia Rutbäck Eriksson die ganz besondere Freundschaft zwischen Morris und seinem Engelsbrüderchen Sid. Sie findet Worte für eine zutiefst schmerzvolle und erschütternde Situation. Behutsam macht uns die Autorin mit Morris‘ Gefühlen vertraut. Die komplizierter nicht sein könnten.

Denn Morris hat eine ganz besondere Beziehung zu Sid gefunden. Eine Beziehung, in der er seinem Bruder nah sein kann. Die ihn aber auch bei jedem Aufeinandertreffen die schmerzend große Distanz erfahren lässt.

Die Treffen mit Sid sind Morris Umgang mit Verlust, Trauer und Schmerz. Und damit ein wertvoller Weg, um schließlich wieder Freude und Liebe spüren zu können. Und neben Sid andere Freunde zuzulassen.

Gleichzeitg lernen wir Morris Eltern kennen. Mit ihrer Trauer, ihrem Schmerz und ihrer Angst. Und im ständigen Versuch, ihrem lebenden Kind in eben dieses – das Leben – zurück zu helfen.

Wenn die Trauer der Liebe (wieder) Raum gibt

Wertungsfrei gibt uns Sofia Rutbäck Eriksson einen Einblick in beide Seiten, überaus authentisch. Denn sie kennt diese Seiten. Hat sie doch selbst, bevor sie das Buch „Engelsbrüderchen“ schrieb, ihren Sohn Alfie verloren.

Feinfühlig beschreibt die dreifache Mutter, wie ein Umgang mit dem wohl tiefsten Schmerz gelingen kann. Sie zeigt dabei, dass dieser dargestellte Umgang nur ein Beispiel ist, nur eines von unendlich vielen. Dass jeder seinen ganz eigenen Weg finden muss und darf. Und dass irgendwann im Laufe dieses Weges nicht mehr nur noch Trauer möglich ist. Sondern grenzenlose Liebe.  

Illustrationen zwischen Himmel und Erde

Mit ihren Zeichnungen gibt Maria Lindgren den Charakteren Gestalt. Die Farbstimmung ist geprägt von Pastelltönen – von hellem Blau und Rosa, Hellgrün und zartem Lila. Alles wirkt wie im Traum, wolkig und weich. Verwaschen. Denn auch Morris‘ Familie ist nur ein Beispiel, eines von viel zu vielen.

Auf den ersten Blick muten die Illustrationen schlichtweg fröhlich an. Ihrer freundlichen Farbigkeit wegen. Dennoch ist erstaunlich viel Raum für Gefühle. Für alle, die sich zeigen.

Trauerbegleitendes Kinderbuch

Ein mutmachendes Kinderbuch, ein einfühlsamer Begleiter, der nicht nur Geschwistern, sondern auch hinterbliebenen Eltern zeigt, wie eine – ganz und gar andere – Beziehung zum verstorbenen (Geschwister-)Kind gelingen kann.

Unterdessen fährt unser Kind mit dem Spielzeug-Feuerwehrauto vor und klappt die Leiter aus. Es lächelt, voller Freude über seine großartige Idee, und sagt: „Vielleicht schaffen wir es damit dorthin.“ Zum Himmel. Vielleicht.

Titel: Engelsbrüderchen
Urheber: Sofia Rutbäck Eriksson (Autorin), Maria Lindgren (Illustratorin)
Altersempfehlung: ab 3 Jahren
Umfang: 32 Seiten, Taschenbuch
Maße: 210 x 148 mm
Herausgeber: Marta Press UG
Veröffentlichung: 4. Juni 2019
ISBN: 978-3-944442-87-7
Preis: 14,00 Euro

Original Sprache: Schwedisch
Übersetzung: Nicole Bucher, Jochen Barthel

Fotos: Anja Jürges/STADT LAND WELTentdecker
Cover/Titelgrafik: Verlag Marta Press; Maria Lindgren/Lumio Förlag (2018)

* Für den Beitrag wurde uns ein Rezensionsexemplar des Buches „Engelsbrüderchen“ zur Verfügung gestellt, er ist demnach Werbung. Der Text ist unbezahlt und zeigt lediglich unsere Erfahrungen und Meinung. DANKE für das Buch und die vertrauensvolle und herzliche Kommunikation, liebe Jana Reich! ♡

Weitere BUCHentdeckungen aus dem Verlag Marta Press findet ihr hier.

All unsere BUCHentdeckungen sind hier gesammelt.

10 Kommentare

  1. Guten Abend,
    das ist ja mal ein tolles Buch! Irgendwie was Trauriges „nett“ verpackt =) Würde ich glatt auch mal lesen, schade dass man den Himmel nicht besuchen kann, würde so gerne meine Eltern mal besuchen ♥
    LG, Janina

  2. Sternenkinder sind ein trauriges Thema für die ganze Familie. Die Geschwister werden häufig dabei vergessen, da der eigene Schmerz so groß ist. Toll, dass Du dieses Trauerbegleitungsbuch vorgestellt hast.
    Alles Liebe
    Annette

  3. Radtour mit einem Engel?
    Das macht mich neugierig.
    Die Beschreibung klingt interessant und es ist schön und einfühlsam beschrieben.

  4. Huhu,

    danke für die tolle Buchvorstellung. Ich finde das Thema sehr wichtig und ein Buch ist immer hilfreich um den Kindern dieses Thema näher zu bringen.

    Danke dafür.

    LG Steffi

  5. In diese Situation möchte ich nie kommen, ein Kind zu verlieren und dann mit der Trauer umgehen lernen zu müssen. Es ist immer wieder so schlimm, wenn Menschen gehen, die einem am Herzen lagen, aber das eigene Kind ist bestimmt noch mal viel viel schlimmer! Traurig, dass die Autorin das selbst durchgemacht hat, aber schön, dass sie ihren Schmerz in so einem tollen Buch verarbeiten konnte! Das hilft sicher vielen Familien, die das ebenfalls erleben mussten, weiter!

    Liebe Grüße
    Jana

    • Liebe Jana,
      das Buch ist wirklich ganz wunderbar, denn es gibt nicht die eine Lösung zum Umgang mit dem furchtbaren Schmerz vor. Stattdessen zeigt es, dass alles, was in der Situation da ist, in Ordnung ist. Das macht Mut.
      Herzliche Grüße
      Anja

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