DAS DINGSDA SAGT WEIHNACHTEN AB (Rezension: Die verflixte Erfindung)

* Unser Staubsaugroboter, liebevoll „Putzi“ genannt, gehört inzwischen fest zur Familie. Nunja, zumindest in den Haushalt. Mit Haustieren und (Klein-)Kind ist so eine Maschine Gold wert. Ein Knopfdruck und er befreit ein Zimmer nach dem anderen von Staub und Tierhaaren, von beim Frühstück zahlreich auf den Boden gefallenen Haferflocken und allerlei anderen Müslibestandteilen. Zugegeben, hin und wieder hängt er zwischen den Stuhlbeinen fest, verzweifelt an umgeräumtem Mobiliar oder saugt auch mal das ein oder andere Spielzeug auf. Doch alles in allem ist er ein zuverlässiger Helfer. Den Rest erledigen wir. Und das ist gut so. Oder!?

Dingsda: Haushaltshilfe aus der Werkstatt

Im Kinderbuch „Die verflixte Erfindung“ vom schwedischen Bilderbuch-Bestsellerautor Martin Widmark und der polnischen Illustratorin Emilia Dziubak, herausgegeben vom Verlag arsEdition, jedenfalls entwickelt sich im Zusammensein mit dem Hausroboter eine ganz eigene Dynamik. Gleichermaßen unerwarteten wie unerwünschten Ausmaßes.

Denn das Dingsda, welches Erfinder Rüdiger gebaut hat, lernt immer mehr dazu und entwickelt schließlich eine eigene Persönlichkeit. Dabei sollte der kleine, rote Roboter mit seinen spiralförmigen Drahtärmchen und ebenso spindeldünnen Beinchen doch lediglich Walter im Haushalt entlasten. Die Brüder Walter und Rüdiger nämlich leben zusammen. Und wenn Walter zufrieden ist, kann sich Rüdiger in aller Ruhe in seine Werkstatt zurückziehen und sich seinen Erfindungen widmen.

Anfangs geht die Rechnung auf. Das Dingsda putzt und spült, räumt auf und kocht. Doch mit jedem Tag wird es etwas schlauer. Und als Weihnachten naht, ist das Geschwisterpaar in Sorge. Denn was sind die Festtage schon ohne üppiges Essen und Geschenke. Ersteres hat das Dingsda Rüdiger und Walter schon seit Tagen gestrichen. Statt Würstchen, Fleischklößen und Steak bekommen die offensichtlich übergewichtigen Männer Brokkoli, Kohlköpfe und Kartoffeln. Ganz und gar ausfallen lassen will das Dingsda Weihnachten sogar, um die Geschenkeflut der Menschen zu stoppen. So haben sich Walter und Rüdiger das nicht vorgestellt. Doch was tun mit dieser verflixten Erfindung, die nicht zu stoppen ist?

Technologie- und Weihnachtskritik im Bilderbuch

Auf humorvolle und dabei äußerst wohlklingende Weise erzählt Martin Widmark die Geschichte zweier Brüder. Die sich schlicht etwas Unterstützung bei der Hausarbeit wünschen. Ihr Wunsch geht nicht nur in Erfüllung. Das, was aus der Erfüllung wird, torpediert jegliche ihrer Vorstellungen davon. Bis sie sich ihren Wunsch wieder wegwünschen.

Oberflächlich betrachtet, ist es das. Eine raffinierte Geschichte mit Witz und ein wenig Kritik. Doch im Laufe dieser Geschichte wird das Thema der Kritik immer mehr zum Kernthema. Das Übergewicht der beiden Protagonisten, welches anfangs lediglich auf augenzwinkernde Weise über die Illustrationen vermittelt wird, steht schließlich im Fokus. Mehr noch. Der elf Mal in Folge mit dem Children’s Own Award ausgezeichnete Bilderbuchautor setzt es in direkte Verbindung mit dem Weihnachtsfest. Aus dem kritischen Unterton wird direkte Kritik am Jahresfest mit dem Schwerpunkt auf übermäßigem Essen und übertriebenen Geschenken. Sprachrohr ist, na klar, das Dingsda.

Diese kritische Grundstimmung wird nicht etwa aufgelöst, sie hält sich bis zum Ende der Geschichte. Hier hätten wir uns einen etwas reflektierteren Blick gewünscht: Was macht Weihnachten aus? Wie viel mehr kann Weihnachten sein als Essen und Geschenke? Und welche Lösungen gibt es für das vermeintliche Problem? Außer, das Fest abzusagen. 
Keine Frage, die Kritik hat ihre Berechtigung. Die Intensität jedoch empfinden wir für Kinder ab einem Alter von fünf Jahren als zu stark. Ebenso fehl am Platz für diese Altersklasse ist in unseren Augen die Aussage, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Lassen wir unseren Kindern doch ihre Träume, ihren Glauben, ihre Kindheit!

Atmosphärische, detailreiche Zeichnungen

Die Illustrationen Emilia Dziubaks bilden eindrucksvoll die mit Worten geschaffene Atmosphäre ab. Es ist Winter, es ist heimelig bei Rüdiger und Walter, alles geht seinen gewohnten Gang. Bis das Dingsda einzieht. Und wir Skepsis, Ablehnung und Angst sehen und spüren.

Die zwei Burschen von elefantenhafter Dimension sind liebenswert, einfältig, hilflos. Die perfekten Partner, um mit dem Dingsda nicht zurecht zu kommen. Emilia Dziubak, die inzwischen an mehr als vierzig Büchern mitgearbeitet hat, gibt Rüdiger und Walter eine Körpersprache und prägnante Gesichtsausdrücke, die eben dies zeigen.

Nebenbei gibt es auf den Zeichnungen allerhand zu entdecken. Ob Werkstatt, Wohnzimmer oder Küche – die Räumlichkeiten, in denen sich die Handlung abspielt, sind detailreich gestaltet. In Rüdigers Werkstatt hängt das Werkzeug wohlsortiert an den Wänden, während Walter Weihnachtskuchen backend den Küchentisch in chaotischem Zustand hinterlässt. Das bleibt jedoch nicht so. Stapelweise Teller spült er. Am blauen Hochschrank hängt ein kleiner Zettel. Was darauf wohl notiert sein mag?

Wie es das Titelbild erahnen lässt, ist die Farbstimmung der Zeichnungen eher bedeckt. Dem gegenüber stehen die Texte. Auf hellem Grund, wie in Holz gerahmt, begleiten sie die Zeichnungen von den gegenüberliegenden Seiten aus. Zu den seitentragenden Szenen passende Details begleiten die Texte.

Gleichermaßen humorvolle wie düstere Weihnachtsgeschichte

Wer die Bücher des Duos Widmark Dziubak kennt, weiß um die leicht düstere, spannungsreiche Stimmung mit kritischem Unterton. Diejenigen, die auf der Suche nach einer harmonischen, friedlichen Weihnachtsgeschichte sind, sollten deshalb eher zu anderen Titeln greifen.

„Handwerklich“ sind sowohl Text als auch Illustrationen auf allerhöchstem Niveau. Jedes Wort, jeder Satz hat genau seinen Platz. Klar und ausdrucksstark. Der Text transportiert nicht nur die Handlung, sondern ganz viel Gefühl. Zudem ist er einfach wunderbar zu lesen, alles ist im Fluss. Ebenso die Zeichnungen. Sie schaffen diese seltsame, spannungsreiche Stimmung. Sie zeigen nicht nur, was die Worte sagen. Sie unterstreichen den kritischen Unterton der Geschichte.

Wir lassen derweil „Putzi“ noch etwas Ordnung machen, den Weihnachtsmann die Geschenke bringen und genießen unser Essen. Selbstgemacht. Mit guten Zutaten. Mit Liebe.

Titel: Die verflixte Erfindung
Urheber: Martin Widmark (Autor), Emilia Dziubak (Illustratorin)
Altersempfehlung: ab 5 Jahren
Umfang: Hardcover, 40 Seiten
Maße: 288 mm x 221 mm
Herausgeber: Verlag arsEdition
Veröffentlichung: 30. August 2021
ISBN: 978-3-8458-4089-5
Preis: 15,00 Euro [D], 15,50 Euro [A]

Original Titel: Mojangen
Original Verlag: Bonnier Carlsen Bokförlag, Stockholm, Schweden
Original Sprache: Schwedisch
Übersetzer: Ole Könnecke

Fotos: Anja Jürges/STADT LAND WELTentdecker
Cover/Titelgrafik: Verlag arsEdition

* Für den Beitrag wurde uns ein Rezensionsexemplar des Buches „Die verflixte Erfindung“ zur Verfügung gestellt. Der Text ist unbezahlt und zeigt lediglich unsere Erfahrungen und Meinung. DANKE für das schöne Buch und die unkomplizierte und herzliche Kommunikation, liebe Marlena! ♡

Hier könnt ihr in weiteren Titeln der Illustratorin Emilia Dziubak stöbern. Weitere Bücher aus dem Verlag arsEdition findet ihr hier. All unsere BUCHentdeckungen sind hier gesammelt.

10 Kommentare

  1. Liebe Anja,

    das ist ja cool. Wenn ich noch kein Weihnachtsgeschenk für die Neffen hätte, dann wäre ich jetzt fündig geworden.
    Denn die Geschichte klingt mal komplett anders. Lustig und doch sehr zum Nachdenken.

    Ich hätte mir noch ein paar mehr Bilder zum und aus dem Buch gewünscht.

    Liebe Grüße, Katja

  2. Das klingt ja mal nach einem etwas anderen Bilderbuch. Nach sowas suche ich immer, denn die Gewöhnlichen haben die meisten Kinder schon zu Hause oder im Kindergarten. Ich kannte das Buch noch nicht und schiebe es direkt auf die Liste, denn ich suche immer nach Geschenken für Kids, nicht nur zu Weihnachten. Ein Buch muss immer dabei sein, da ich das Lesen ja fördere.

    Liebe Grüße, Bea

  3. Danke für diese schöne Vorstellung! Wir haben ja einen „Robbi“ und möchten ihn nicht mehr missen. Als ich deinen Text begonnen habe zu lesen dachte ich mir, was für eine geniale Idee für eine Geschichte. Das Dingsda, das immer intelligenter und eigenständiger wird und schließlich die Kontrolle über die Protagonisten gewinnt. Ich hätte das wirklich als eine spannende Geschichte für ältere Schulkinder gefunden. Aber ich glaube auch, so wie du schreibst, für kleine Kinder ist das noch nicht unbedingt was. Meine Tochter würde das überfordern, wenn es allzu düster rüberkommt. Und dass es am Ende kein schönes Ende gibt, wo doch alles gut ist und Weihnachten als besinnliches Fest dargestellt wird, dass auch ohne Konsumwut und Völlerei gefeiert werden kann, finde ich auch schade. Für kleine Kinder wäre das sicherlich ein schöneres Ende gewesen. Und für mich beim Vorlesen bestimmt auch 😀 Würdest du das Buch auch für ältere Kinder empfehlen oder ist es dafür dann zu „kindlich“ gestaltet?

    Liebe Grüße,
    Diana

    • Liebe Diana,
      ich sehe es genau wie du – für jüngere Kinder würde ich das Buch nicht empfehlen, die Kritikpunkte könnten durchaus überfordern. Für ältere Kinder ist das Buch gewiss spannend. Allein die Thematik gibt einiges her.
      Herzliche Grüße
      Anja

  4. Liebe Anja,

    deine ehrlichen Rezensionen weiß ich immer sehr zu schätzen und deshalb würde schon allein wegen deiner Kritikpunkte das Buch nicht bei mir einziehen. Da helfen auch liebevolle und kunstvolle Illustrationen nicht.
    Denn sein wir mal ehrlich, Kinder brauchen einfach am Ende auch eine Reflektion. Und ich finde es ja prinzipiell gut Probleme anzusprechen, aber es muss auch im Zusammenhang vernünftig vermittelt werden.
    Übrigens – Lesejunior weiß ja schon länger, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Dennoch lassen wir ihn jedes Jahr „aufleben“ und das lieben wir alle in der Familie. Denn der Weihnachtsmann ist doch die Person, die uns gern mit viel Liebe beschenkt und ist bringt, was wir uns wünschen. Also ich finde ja, ein kleiner Weihnachtsmann steckt in jedem von uns 😉

    Liebe Grüße
    Mo

  5. Irgendwie muss ich beim Lesen deiner Beschreibung an den Zauberlehrling von Goethe denken 🙂 Bei dem dann auch alles Überhand nimmt! Aber ich muss sagen, dass mich die Geschichte reizen würde! Roboter finde ich nämlich richtig toll und Brokkoli und Kohlköpfe mag ich noch mehr 🙂 Ob er mich wohl auch damit versorgen würde?

    Liebe Grüße
    Jana

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