WENN DER WALD GESCHICHTEN SCHREIBT (Rezension)

* Sanft sinken die Füße in weiches saftiggrünes Moos, der Wind streicht zart durch trockene Gräser, lässt Spinnenweben heimlich tanzen. Es duftet nach erdigem Boden und Tannennadeln. Waldspaziergang.

Voller kleiner und großer Wunder ist dieser Ort. Gleichermaßen ruhig und lebendig. Und voller Geschichten. Einige davon hat die freiberufliche Autorin und Illustratorin Pirkko-Liisa Surojegin neu erzählt, stimmungsvoll illustriert und im Kinderbuch „Von Fuchs, Wolf und Bär … Tiermärchen aus dem hohen Norden“ zusammengetragen.

Zugrunde lagen der studierten Grafikdesignerin aus Finnland für den im Original unter dem Titel „Suomen lasten eläinsadut“ 1997 herausgegebenen Band die Tiergeschichten von Osmo Iisalo von 1921. In verständlicher, zeitgemäßer Wortwahl fängt Pirkko-Liisa Surojegin das Wesen der damaligen Märchensprache ein, den ganz besonderen und eigenen Klang der Erzählungen.

Fuchs, Wolf und Bär begleiten durch das Buch

Bei dem umfassenden Werk, kürzlich vom Verlag Urachhaus herausgegeben, handelt es sich jedoch mitnichten um eine bloße Geschichtensammlung. Alle Erzählungen stehen miteinander in Verbindung.

Aus ihrer Liebe zum finnischen Wald und dessen Lebewesen macht Pirkko-Liisa Surojegin denselben zum Schauplatz aller Märchen und die nordischen Wildtiere sowie die Haustiere vom Waldbauernhof zu deren Akteuren. Immer besser lernen wir die drei Protagonisten kennen – den gutmütigen Bären, den listigen Fuchs und den mal misstrauischen, mal leichtgläubigen Wolf. Sie beobachten den Bauern bei der Arbeit und hoffen, sich durch eben solche ihr oftmals beschwerliches Waldleben vereinfachen zu können. Und so roden die Tiere ein Waldstück, bauen Getreide an, ernten und verarbeiten es und bauen eine Straße durch den Wald.

Wald- und Hoftiere in den Hauptrollen

Diese den Menschen nachahmenden Handlungen ziehen sich in mehreren Märchen durch das Buch und schaffen einen verbindenden Rahmen für alle Geschichten. Die Gegenstände, Werkzeuge und Arbeitsmethoden, welche verwendet und angewandt werden, entsprechen dem historischen Vorbild. Ein bebilderter Anhang erklärt einige nicht geläufige Worte und gibt einen anschaulichen Einblick in die körperlich zehrende Arbeit der einstigen Zeit. 

Erzählungen mit anderen Wald- und Hoftieren wie Hahn und Henne mit ihren Küken, der Sau samt Ferkeln, Katze und Maus, dem Kranich, der Krähe und dem Eichelhäher in den Hauptrollen begleiten die Geschehnisse rund um die drei tierischen Protagonisten und zeigen uns deren Leben, teils auf humorvolle, teils auf augenzwinkernde Weise.

Wir erfahren zum Beispiel, weshalb Bären Ameisen fressen, warum der Kuckuck seinen Gesang stets mit einem müden Krächzen beendet, wie der Bär zu seinem Stummelschwanz kam und der Eichelhäher zu seinem farbenprächtigen Federkleid.

Die Stärken der Schwachen. Oder: Nur mit List gelingt es nicht.

Anfangs haben wir uns an den nicht immer schmeichelhaften Eigenschaften gestoßen, die den Tieren dabei zugeschrieben werden. Jedoch erfahren wir, dass diese situationsbedingt mal mehr, mal weniger vorteilhaft sind. Wenn sich der listige und faule Fuchs beispielsweise mit heimtückischen Ideen Leckerbissen zu verschaffen oder sich vor gemeinsamer Arbeit zu drücken versucht. Und selbst spürt, dass dies zwar hin und wieder mit vollem Magen endet, manchmal aber auch mit Ärger, Schmerz und Scham. Und dass stets derjenige gewinnt, der seine Fähigkeiten mit Weitsicht einsetzt.

Ob Fuchs, Wolf oder Bär. Oder all ihre Freunde und Begleiter. Im Wald und auf dem Hof. Ihre Wesen sind so unterschiedlich, wie sie nur sein können. Wertvoll ist ein jeder auf seine Art. 

Vom Schlemmen und Sterben

Wenngleich uns bewusst ist, dass verschiedene Tierarten einander als Nahrung dienen, sind uns einige Schilderungen zu boshaft in einem für Kinder ab vier Jahren empfohlenen Buch. Wenn beispielsweise der Fuchs der Reihe nach die Küken der Elster verspeist, bis diese bitterlich weint. Wenn der Wolf die Sau mit ihren Ferkeln in den Fluss treibt, einem schmackhaften Mahl hinterher. Oder wenn der Bär die Ameise und die Katze die Maus aus Wut oder Ungeduld schlicht verspeisen.

Auch mit dem erzieherischen Ansatz von Belohnung und Strafe für die Faulen und die Fleißigen, der nach der gemeinsamen Arbeit der Tiere zum Tragen kommt, stimmen wir nicht überein. Selbst wenn dieser für Märchen beinahe typisch ist, hätten wir uns an dieser Stelle eine zeitgemäße Adaption gewünscht, beruhend auf der Idee der Gleichwürdigkeit.

Gemeinsam zu großen Zielen

Trotz allen Konfliktpotentials unter den Tieren – schließlich könnte der eine dem anderen ständig willkommene Mahlzeit sein – herrscht Hilfsbereitschaft und Zusammenhalt. Feinfühlig lässt Pirkko-Liisa Surojegin freundschaftliche und behütende Wesenszüge durch den Wettstreit der Tiere untereinander durchschimmern. Als Bär, Wolf und Hahn dem ängstlichen Hasen helfen, in dessen Waldhüttte ein gefährliches Ungeheuer Schrecken verbreitet. Als die Krähe der Elster bei der Rettung ihrer letzten Küken vor dem Fuchs unterstützt. Und als der gutmütige Bär den angeblich kranken Fuchs Huckepack trägt.
Gemeinsam verfolgen die Tiere Ziele, klauen der Bäuerin das Butterfass und bauen letztlich gar eine Straße, die ihnen den Weg durch den Wald erleichtert.

Die einzelnen Geschichten sind unterschiedlicher Länge, von nur einer Seite bis zu dreizehn Seiten, sodass die passende Lektüre sowohl thematisch als auch nach Leselust ausgewählt werden kann.

Illustrationen tragen die Atmosphäre des nordischen Waldes

Atmosphärische Zeichnungen begleiten die finnischen Tiermärchen. In ihrem Heimatland ist Pirkko-Liisa Surojegin für ihre Bilder in Bilder-, Märchen- und Lehrbüchern sowie dem Nationalepos Kalevala berühmt. Äußerst detailliert sind diese aus unzähligen zarten Strichen angelegt.

Wer genau hinschaut, sieht, dass der grünen Wiese kein Grashalm fehlt, dem goldgelb geernteten Stroh in der Scheune kein Stängel und dem dichten braunen Fell des Bären kein einziges Haar.
Die Sterne, die der Bär betrachtet, werden bis in die Tiefe, die Ferne, immer kleiner. Sie funkeln aus dem Schwarz des Nachthimmels hervor. Die zarten Schneeflocken glitzern in der Wintersonne.

Die Zeichnungen sind teils schwarz-weiß, teils bunt angelegt. Die Farbstimmung ist der des dichten, wilden Waldes nachempfunden. Satte Grün- und Brauntöne herrschen vor.
So riecht es regelrecht nach Wald beim Betrachten der Naturbilder, nach klarer, kühler Luft. Beinahe spürbar eingefangen scheint die nordische Kälte.

Tierische Protagonisten mit menschlicher Mimik

Die Protagonisten begegnen uns zudem in einer facettenreichen Bandbreite an Stimmungen und Gefühlen, glaubwürdig zum Ausdruck gebracht. Sie haben Angst und empfinden Freude. Sie sind voller Gutmut oder List. Pirkko-Liisa Surojegin lässt die tierischen Charaktere nicht nur Menschen beobachten und nachahmen, sie verleiht ihnen menschliche Mimik.

Harmonisches Text-Bild-Verhältnis

Text und Illustrationen bilden durchweg eine von selbstverständlicher Leichtigkeit getragene Einheit. Oft wechseln sie sich ab, mal begleitet ein kleineres Bild wie ein Rahmen an der Wand den größeren Textteil, mal fügt sich ein kleiner Textabschnitt in eine seitenfüllende Zeichnung ohne diese zu dominieren.
Lediglich sollte unserem Empfinden nach vor einer doppelseitenfüllenden Illustration der letzte Satz der vorherigen Seite beendet sein. Sonst ist der erste Satzteil beim Bestaunen des Bildes bis zum Umblättern zur Fortsetzung schnell vergessen.

Ein stilisiertes Symbolbild, in dem Fuchs, Wolf und Bär erkennbar sind, zieht sich, analog der Seitenzahlen unten, oben über die Textseiten des Buches. Ein wunderbares Detail, Bindeglied zwischen Text und Bild, welches die drei Protagonisten miteinander verknüpft.

Fantasiereise für alle Altersgruppen

Die gesamte Buchgestaltung ist von überaus hoher Qualität. Stabile Seiten schaffen, in Halbleinen gebunden, eine wertige Haptik. Und machen das Märchenbuch tatsächlich zu einem (Vor-)Leseerlebnis für Klein und Groß. Für gemeinsame Reisen in den nordischen Wald – und sei es in der Fantasie.

Unterdessen knarzt und knackt es unter unseren Füßen. Wir stapfen durch dichtes Geäst. Und entdecken einen über und über mit Moos bewachsenen Baumstumpf, auf dem es lebendig kribbelt und krabbelt. Winzig kleine Regenwürmer erkunden munter ihre frische grüne Stube. Voller Leben ist der Wald.

Titel: Von Fuchs, Wolf und Bär … Tiermärchen aus dem hohen Norden
Inhalt: Besuch und Gegenbesuch, Der Fuchs und die Krähe, Der Fuchs fabuliert, Der Wolf und die ungetauften Ferkel, Der Eichelhäher und die geliehene Kleidung, Die Maus und der Frosch, Als der Hahn vom Waldhof Bier trank, Die Tiere fliehen vor dem Weltuntergang, Der Rabe und der Käse, Die Elster und der Fuchs, der Skier haben wollte, und weitere.
Urheber: Pirkko-Liisa Surojegin
Altersempfehlung: ab 4 Jahren
Umfang: 175 Seiten, Halbleinen
Maße: 27.1 x 21.3 cm
Herausgeber: Verlag Urachhaus
Veröffentlichung: 1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8251-5208-6
Preis: 25,00 Euro

Original Titel: Suomen lasten eläinsadut
Original Verlag: Otava
Original Sprache: Finnisch
Übersetzerin: Elina Kritzokat

Fotos: Anja Jürges/STADT LAND WELTentdecker
Cover/Titelgrafik: Verlag Urachhaus

* Für den Beitrag wurde uns ein Rezensionsexemplar des Buches „Von Fuchs, Wolf und Bär … Tiermärchen aus dem hohen Norden“ zur Verfügung gestellt, er ist demnach Werbung. Der Text ist unbezahlt und zeigt lediglich unsere Erfahrungen und Meinung. Ein herzliches DANKE für das schöne Buch und, an Claudia Rehm, für die unkomplizierte und herzliche Kommunikation! ♡

Weitere Buchentdeckungen findet ihr hier.

16 Kommentare

  1. Liebe Anja,

    ich bin ja ein Märchen-Fan und finde besonders ursprüngliche Märchen faszinierend. Neulich habe ich chinesische Märchen gelesen, sie sind so ganz anders als in unseren Breitengraden bekannte Erzählungen. Finnische Märchen kenne ich aber leider noch keine. Was mich gleich zu meiner Frage führt: bildet dieses Buch ursprünglich finnische Märchen ab oder ist das eher eine Neuinterpretation? Denn wenn letzteres der Fall ist, bin ich ganz bei dir. Gerade im Bezug aufs Gefressen werden sollte die Zielgruppe nicht vergessen werden. Bei deiner Kritik wäre ich mir unsicher, ob ich das mit einem vierjährigen Kind lesen würde wollen. Aber ich bin jetzt neugierig auf das Buch geworden.

    Liebe Grüße
    Mo

    • Liebe Mo,
      auch wenn die Märchen neu erzählt worden sind, ist die Autorin bemüht um den ursprünglichen Stil der Tiergeschichten. Das ist wirklich gut gelungen und sowohl auf Text- als auch auf Bildebene äußerst stimmungsvoll.

      Jetzt bin ich aber auch neugierig auf die chinesischen Märchen. 🙂
      Herzliche Grüße
      Anja

  2. Hi Anja,
    ich danke dir sehr für diese super Buchvorstellung!
    Auch wenn ich selber keine Kinder habe finde ich dieses Buch sehr gut. Dank diesem können Kinder verstehen wie die unterschiedlichen Tiere so leben usw. Dass das ganze noch in Märchenform passiert bei dem jedes Märchen auf das nächste aufbaut und so mit liebe zum Detail illustriert ist finde ich super!
    Ich kann deine Kritik nicht nachvollziehen, Kinder müssen auch lernen das nicht jedes Tier so lieb ist wie die eigenen Haustiere und das Essen nicht in den Regalen im Supermarkt entsteht.
    LG
    Stephan

    • Lieber Stephan,
      danke für deine ausführliche Einschätzung.
      Ich stimme dir zu, dass es auch für Kinder wichtig ist zu erfahren, wie Tiere leben und dass sich verschiedene Tierarten durchaus untereinander als Nahrung dienen. Die Frage ist lediglich, in welchem Alter und auf welche Weise Kinder das erfahren sollten.
      Herzliche Grüße
      Anja

  3. Die Problematik bei solchen Tierfabeln ist in meinen Augen einfach jene, dass Tiere sehr vermenschlicht werden. Ab wann kann ein Kind solchen Schilderungen folgen ohne es mit den echten Wildtieren zu verwechseln? Ich erinnere mich an ein Märchen von Grimm, Fuchs und Igel. Ich war vier und überzeugt, der Igel im Garten würde mir schon irgendwann antworten, wenn ich nur geduldig wäre.

    • Ich bin mir sicher, dass dir der Igel geantwortet hat, liebe Marion, auf seine Weise.
      In Kinderbüchern sind sehr häufig Tiere Protagonisten. Das stufe ich als völlig unproblematisch ein.
      Herzlichen Gruß
      Anja

  4. Liebe Anja,
    Das mit dem Schwanz des Bären würde mich ja auch mal interessieren. Aber ehrlich gesagt bin ich insgesamt dann doch etwas schockiert ob deiner Beschreibung, dieses Buch für Kinder in so jungen Jahren zu empfehlen. Natürlich müssen Kinder lernen, dass Tiere Tiere fressen – und dass das Fleisch auf dem Tisch auch Tier ist. Aber ich hab eben bei deiner Schilderung mit dem Fuchs und den Elster-Küken schon Gänsehaut bekommen, weil ich es so grausam fand.
    Liebe Grüße von Miriam von Nordkap nach Südkap

    • Liebe Miriam,
      bei der Geschichte mit dem Fuchs und den Elster-Küken war uns auch mulmig zumute.
      Aber da können Eltern ja glücklicherweise individuell entscheiden, was sie ihren Kindern in welchem Alter vorlesen und mit welchen Informationen sie vielleicht noch eine Weile warten.
      Herzliche Grüße
      Anja

  5. Na das passt ja, ich habe heute erst ein Waldbuch mit meinen Therapiekindern durchgeblättert und nun stolpere ich bei dir wieder über Bären und Füchse! Wusstest du schon, dass meine Tochter und ich letzten Sommer nach Finnland reisen wollten? Wegen Corona wurde leider nichts daraus, aber mit dem tierischen Geschichtenbuch könnten wir ein wenig gedanklich durch dieses schöne Land reisen! Danke für die Vorstellung!

    Liebe Grüße
    Jana

    • Liebe Jana,
      das ist aber schade, dass ihr eure Reise nach Finnland absagen musstet. Hoffentlich könnt ihr sie bald nachholen. Und die Zwischenzeit mit schönen finnischen Tiermärchen überbrücken.
      Herzliche Grüße
      Anja

  6. Hallo,

    was für ein wunderschönes Buch das ist. Es scheint so das man damit richtig ein Abenteuer erleben kann. Schön finde ich das auch bei den Zeichnungen alles bedacht wurde. Mir würde das Buch sehr gut gefallen.
    Liebe Grüße
    Julia

  7. MMmh, aalso ob ein Kind mit 4 Jahren tatsächlich ein solches Buch lesen sollte? Klar, der Tot gehört dazu, aber muss man das so extrem und bildlich in einem Kinderbuch darstellen? Es ist ja das eine, wenn der Fuchs die Elsterbabys frisst, aber etwas ganz anderes, wenn man der Eltermama auch ein Gesicht gibt und sie in die Geschichte mit einbindet. Das finde ich echt hart.
    Erst dachte ich, das sei ein wirklich tolles Buch, zumal ich Waldgeschichten auch sehr mag. Aber jetzt bin ich mir da schon gar nicht mehr so sicher. Schade eigentlich…

    • Liebe Tanja,
      wir empfinden einige Märchen des Buches auch als sehr grob und gehässig. Da müssen die Eltern entsprechend Verantwortung übernehmen und entscheiden, mit welcher Geschichte sie vielleicht noch etwas warten.
      Herzliche Grüße
      Anja

  8. Vorab: Eine tolle Buchbesprechung von dir.

    Ich finde Bücher tolll, die auch 2 oder 3x gelesen werden können, da in der Geschichte und den Charaktären so viel Tiefgang steckt .

    Tieren werden ja seither menschliche Züge zugeschrieben und das Buch erinnert mich an eine moderne Fabel. Wie du die menschlichen Züge analysiert finde ich toll.

    VG

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