OHNE WORTE: SOMMER. (Rezension)

* Eilig flitzt das Kind den sonnenwarmen Strand entlang. Bis der Schrei einer Möwe es innehalten lässt. Es horcht, es lauscht. Aufmerksam für all die kleinen Wunder, die dieser Moment bereithält.
Mit den Füßen im flachen Wasser angekommen, geht es weiter. Dem Weg folgend, den die Wellen in den nassen Sand zeichnen. Ein leises Rauschen, ein kleiner Schritt, gespanntes Warten. Und von vorn.
Wild braust die nächste Welle gegen die Kinderbeine. Winzige Wassertropfen spritzen zu allen Seiten, schweben glitzernd durch die helle Sommerluft.

Welche dieser unscheinbaren und doch so kostbaren Augenblicke die Erinnerung wohl festhält, über Jahre?

Erinnerungen an einen Sommer

Das Packen des Rucksacks für den Sommerurlaub, der Fahrtwind im Gesicht bei geöffnetem Auto-Fenster, das Aufwärmen auf dem hölzernen Steg nach dem Schwimmen im See, der Blick zum nächtlichen Sternenhimmel – diese Momente behält er gewiss im Kopf, der Junge aus Jihyun Kims Bilderbuch „Sommer“, kürzlich herausgegeben vom Verlag Freies Geistesleben & Urachhaus.

Mit seinen Eltern und seinem Hund unternimmt er eine Reise. Gemeinsam verlassen sie die Großstadt, mit dem Auto über die Brücke am Fluss. Hinein in den Wald und übers Land, bis hin zum Holzhaus der Großeltern, mitten in der Natur. Freudig werden die Urlauber empfangen, kommen an. Langsam. Mit seinem vierbeinigen Gefährten erkundet der Junge die Umgebung. Die Wege sind schmal und gesäumt von Bäumen, Gräsern und Büschen. Allerlei ist dort zu entdecken – zu sehen, zu hören, zu riechen, zu spüren. Bis der Wald den Blick auf den See freigibt. Vom Steg aus springt der Junge kopfüber ins Wasser, taucht zu den Wasserpflanzen und Fischen. Und schließlich dem Sonnenlicht entgegen, welches schimmernd den Weg aus dem Wasser weist. Tief einatmen. Den Rücken auf dem warmen Holzsteg, den Blick zum wolkenlosen Himmel gerichtet, von dem grell die Sommersonne strahlt. Bis sie sich hinter den Bäumen versteckt, die Schatten länger werden. Heimweg. Abendessen bei weit geöffneten Fenstern, die laue Abendluft durchströmt den Raum, macht drinnen zu draußen. Dort, auf den Stufen zur Veranda sitzend, geht der Blick gen Himmel, in die von Sternen durchfunkelte Nacht.

Zeichnungen transportieren Gefühle

Wortlos lässt uns Jihyun Kim an den wertvollen Sommermomenten eines Kindes teilhaben, dessen Blick und Empfinden offen sind für die unscheinbaren Kostbarkeiten der Natur. Mehr noch, die Illustratorin und Grafikerin lässt uns die Momente spüren. Wir sind nicht bloße Betrachter, sondern mittendrin.

Die detailreichen Zeichnungen sind so intensiv wie die dargestellten Augenblicke selbst, sie transportieren neben reinen Bildern Gefühle, sie erzählen Geschichten. In Graubraun- und kühlen Blautönen gehalten, wirken die Illustrationen wie aus der Erinnerung gezeichnet, wie ein Blick in eine längst vergangene Zeit. Die Wärme des Sommers ist gewichen, doch im Herzen lebendig.

Kunstvolle, detailreiche Darstellungen

Dabei erzählt jedes doppelseitige Werk seine eigene Geschichte, die eines flüchtigen, stillen Momentes. Äußerst stimmungsvoll gezeichnet und ausgestaltet mit unzähligen Kleinigkeiten, die es mit jedem Betrachten nach und nach zu entdecken gilt. Die in feinen Strichen vielfältig angelegten Pflanzen sowohl des Waldes als auch des Wassers, die beim Tauchen regelrecht schwebenden Haare des Jungen, die tatsächlich hell ins Wasser leuchtende Sommersonne, die Bildergalerie an der Wohnzimmerwand der Großeltern, welche ein Stück Familiengeschichte erzählt.

In der Folge gesehen sind die Zeichnungen die Essenz eines Sommerurlaubs. Wobei das Vorsatzpapier vorn und hinten die zwei gegensätzlichen Schauplätze zeigt – vorn die Großstadt, in der wir die Reise beginnen, hinten vereinzelte Holzhäuser im Wald am See. 

Raum für eigene Geschichten

Die Abwesenheit der Farben und Worte lenkt den Blick aufs Wesentliche. Trotz ihrer gewaltigen Aussagekraft und Detailfülle sind die Botschaften der Bilder selbst für jüngere Kinder gut zu greifen. Und für (Groß-)Eltern eine liebevolle Einladung zu einer Reise in die Erinnerung an gelebte Sommer.

So dürften die Geschichten, die beim Blättern im Buch erzählt oder gedacht werden, unterschiedlicher nicht ausfallen:
Was den Jungen und seinen Hund beim Spaziergang durch den Wald wohl aufhorchen lässt – der Gesang eines Vogels in den Baumwipfeln, das Knacken und Knarzen von Geäst in der Ferne oder ein sanfter Windzug, der sich durch die Bäume gekämpft hat? Was mag der Hund im Wohnzimmer der Großeltern erschnuppern – den Geruch unbekannter Menschen, die Katze, die sich vor Kurzem durch das geöffnete Fenster gemogelt hat oder schlicht Kekskrümel vom letzten Kaffeetrinken?
Die fein ausgearbeiteten Situationen regen zu Gesprächen an und lassen gleichzeitg Raum für eigene Interpretationen und Perspektiven.

Bei all der Detailliebe wundert es allerdings, dass der Holzsteg am See auf einem Bild mit einem Handlauf an der Einstiegsstelle ins Wasser versehen ist, auf den übrigen ohne auskommt. Wäre es eine Frage der Entfernung, aus der wir den Steg betrachten, dürfte die Einstiegshilfe eher aus der Nähe zu erkennen sein. Das Gegenteil jedoch ist der Fall. Oder ist es schlicht ein anderer See, ein anderer Steg? Dann gäbe es eine Unterbrechung in der sonst geschlossenen Handlung der Bildfolge.

Liebeserklärung an die leisen Momente

Denn die einzelnen Zeichnungen sind mitnichten bloße Aufzählung eindrucksvoller Situationen. Sie sind eine raffinierte und überaus kunstvolle Geschichte ohne Worte. Eine Liebeserklärung an die Achtsamkeit für den Augenblick. Für die leisen Momente. Momente, in denen wir uns und die Natur spüren, ganz und gar lebendig. Die Gefühle wecken, an die wir uns auch noch nach Jahren erinnern. Momente, die wir wie Schätze in unseren Herzen tragen.

Titel: Sommer
Urheber: Jihyun Kim
Altersempfehlung: ab 5 Jahren
Umfang: 56 Seiten, Gebunden
Maße: 29.7 x 21 cm
Herausgeber: Verlag Freies Geistesleben & Urachhaus
Veröffentlichung: 1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8251-5275-8
Preis: 16,00 Euro

Original Titel: Last Summer
Original Verlag: Woongjin Thinkbig Co. Ltd
Original Sprache: Koreanisch

Fotos: Anja Jürges/STADT LAND WELTentdecker
Cover/Titelgrafik: Verlag Freies Geistesleben & Urachhaus

* Für den Beitrag wurde uns ein Rezensionsexemplar des Buches „Sommer“ zur Verfügung gestellt, er ist demnach Werbung. Der Text ist unbezahlt und zeigt lediglich unsere Erfahrungen und Meinung. Ein herzliches DANKE für das schöne Buch und, an Claudia Rehm, für die unkomplizierte und herzliche Kommunikation! ♡

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16 Kommentare

  1. Deine Fotos mit den leuchtenden roten Farben sind so einladend und intensiv – ich konnte mich gar nicht davon losreisen.
    dazu passt das Buch natürlich ganz wunderbar und es ist toll, dass es ein koreanisches Buch auf den deutschen Kinderbuchmarkt geschafft hat! Klasse

  2. Das klingt wirklich nach dem perfekten Buch – gut, allein der Titel sagt es ja schon aus – für den Sommer!
    Und dann noch die schönen Bilder zu deinem Text… hach! Da sehnt man sich wieder nach lauen Sommerabenden (von denen wir bisher noch nicht viele hatten… 😉 ).

    • Liebe Christine,
      wir hatten inzwischen schon einige schöne, warme Sommertage. Wenn das bei dir nicht der Fall ist, verstehe ich, dass du sie vermisst. Vielleicht ist das Buch ja eine schöne Möglichkeit für eine Fantasiereise?
      Herzliche Grüße
      Anja

  3. Hi Anja,
    was für ein schönes Kinderbuch.
    Die Geschichte klingt traumhaft schön und gemeinsam mit den hübschen Zeichnungen genau nach dem richtigen für die Kleinen.
    Da stellt sich nur die Frage: „Wann wirds mal wieder richtig Sommer?“
    Ach bezüglich dem Handlauf, vielleicht ist es ja Absicht dass er nur auf einem Bild zu sehen ist…
    LG
    Stephan

  4. Liebe Anja,
    Ich finde es faszinierend, dass Jihyun Kim ihre Liebe für die kleinen ruhigen Momente an Kinder weitergeben will – gerade für Kinder ist das ja eher untypisch. Umso schöner, wenn es mir den tollen Zeichnungen gelingt. Klingt nach einer wundervollen Geschichte, für die Worte gar nicht notwendig sind.
    Beste Grüße von Miriam von Nordkap nach Südkap

  5. Ein bisschen mehr Achtsamkeit könnte ich in meinem Leben auch gebrauchen! Ich habe gerade Urlaub und merke, wie ich nur schlecht abschalten kann und täglich meine To-do-Listen im Kopf habe …

    Das Buch klingt mal wieder richtig interessant mit all den tollen Zeichnungen, die du erwähnst! Wir waren übrigens heute auch zum ersten Mal mit unserem Hund im Wald und haben dabei ein Eichhörnchen gesehen!

    Liebe Grüße
    Jana

    • Liebe Jana,
      der Moment mit dem Eichhörnchen im Wald klingt zumindest schon einmal nach einem wundervollen Urlaubsmoment. Ich wünsche dir für die verbleibenden Urlaubstage noch viele weitere solcher schönen Momente.
      Herzliche Grüße
      Anja

  6. Ihr Lieben,

    allein schon der Satz „Liebeserklärung an leise Momente“ ist wunderschön.
    Sie sind so wichtig und können gleichzeitig so weh tun.
    Gut, wenn es dann solch schöne Bücher gibt, die Traurigkeit durch wirklich heftige Themen in Stärke und Kraft versuchen zu wandeln.

    Schnell wird auch klar, es sind die kleinen Dinge, die Kraft und Zuversicht schenken können.

    Danke für die schöne Empfehlung.
    Liebe Grüße, Katja vom WellSpa-Portal

  7. Vielen lieben Dank für die Vorstellung des Buches. Ich mag es, wenn in einem Buch Raum für eigene Gedanken und Inspiration bleibt. Da könnte dieses wunderbar passen.
    Viele liebe Grüße
    Sandra

  8. Liebe Anja,

    das klingt nach einem wundervollen Buch. Es ist doch schön, wenn ein Buch Kinder ganz ohne Worte, rein durch die Illustrationen abholen kann. Ich bin nun sehr neugierig auf dieses Buch geworden und habe es mir gleich einmal notiert. Es ist bestimmt auch etwas für Erwachsene.
    Deine Bilder haben deine Rezension richtig stimmungsvoll untermalt. So etwas mag ich sehr gern.

    Liebe Grüße
    Mo

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