BESTER FREUND: DRACHE. (Rezension)

* „Gibt es Drachen wirklich, Mama?“, fragt das Kind. „Oh, Drachen …“, sage ich und suche in meinem Kopf nach einer passenden Antwort – irgendwo zwischen ‚Bloß keine Ängste schüren!‘ und ‚Nur nicht die abenteuerliche Illusion zerstören!‘. „Drachen sind im Grunde Fantasiewesen“, versuche ich es, „aber Mumin hat tatsächlich einen gefunden, oder?“ „Hmm …“, grübelt das Kind. Und damit ist meine Aussage als Antwort wohl akzeptiert. Zumindest für den Moment.

Zumindest, solange die kleinen Hände noch durch die Seiten des Kinderbuches „Die Mumins und der letzte Drache – Nach einer Erzählung von Tove Jansson“ blättern. Damit hat der Verlag Urachhaus im vergangenen Jahr nach dem Sammelband „Abenteuer im Mumintal – Nach drei Erzählungen von Tove Jansson“ eine weitere Geschichte des Kinderbuchklassikers neu herausgegeben. Wie auch im vorangegangenen Titel erzählt Cecilia Davidsson das Abenteuer der Mumins in Länge und Komplexität gekürzt nach, um es auch für jüngere Leser und Zuhörer ab einem Alter von vier Jahren greifbar zu machen. Durch die feinfühlige Einbindung einzelner Absätze in Tove Jansson Wortlaut gelingt es der Autorin, den Charme der vor fast 75 Jahren geschriebenen Geschichten zu bewahren. Und uns mitzunehmen in diese zutiefst fantasievolle Muminwelt, in der nichts unmöglich scheint. Nicht einmal die Begegnung mit einem Drachen. Einem echten. Dem letzten der Welt.

Zweites Muminbuch aus dem Verlag Urachhaus

Versehentlich fängt Mumin das kleine grüngoldglänzende Wesen an einem Spätsommermorgen in einer Mulde mit braunem Wasser. Dabei wollte er doch nur ein paar Kleinkrebsler erwischen, um zu beobachten, ob sie wirklich rückwärts schwimmen. Natürlich weiß er sofort um die Besonderheit seines Fundes. Den er erst einmal einige Tage geheim halten möchte. Schließlich soll sich der Drache an ihn gewöhnen und ihn gernhaben. Sein Freund soll er werden, im Bett neben ihm schlafen und im Meer mit ihm schwimmen. So Mumins Plan. Doch die geheimnisvolle Gestalt hat ihren eigenen Kopf. Und fliegt sogleich auf Schnupferichs Schulter, als Mumin diesem sein wundersames, feuerspeiendes Geheimnis zeigt. Während der Drache Mumin mit Bissen und Flammen abwehrt, kuschelt er sich innig an dessen besten Freund. Eine kniffelige Situation. Die sich nur mit Drachenwissen und einer ordentlichen Portion Feingefühl lösen lässt.

Golddrache im Marmeladenglas

Nach einer Übersichtskarte des Mumintals und Kurzporträts der wichtigsten Charaktere auf den ersten Buchseiten, beginnt das Drachenabenteuer mit dem ersten Satz der Geschichte. Mit dabei sind wir, als Mumin das grüngeflügelte Tier anstelle der Krebse in seinem Weckglas findet. In jedem Satz ist die muminkindliche Begeisterung für das kleine Drachenwesen zu spüren. Eindrucksvoll und nachempfindbar verpackt Cecilia Davidsson nicht nur diese initiale Situation in stimmungsvolle Sprache. Es wundert also nicht, dass wir später in Mumins Enttäuschung über die Ablehnung des Drachen mit ihm fühlen – Traurigkeit, tiefe Verzweiflung, Hilflosigkeit.

Klangvolle, raffinierte Sprache verrät Geheimnisse aus dem Muminleben

Der Sprachstil ist bildlich, klangvoll und äußerst dynamisch. Die Geschichte geschieht einfach, genau wie das Lesen derselben. Variationen in der Ausdrucksweise der wörtlichen Rede lassen deutlich die einzelnen Charaktere unterscheiden. Während Mumin beispielsweise eher kindlich-naiv daherkommt und die Wunder des Mumintals bestaunt, wartet die Kleine Mü, wo immer es geht, mit verbalen Spitzfindigkeiten. 

In die Handlung eingewoben, beinahe nebenbei, als wäre es selbstverständlich, erfahren wir Eigenheiten aus dem Muminleben. Als Mumin beispielsweise für den Drachen seine unter dem Bett versteckte Nachtkiste mit Eierkuchen und Butterbroten plündert. Oder als sich Mumin und seine Freunde zum Nachmittagskaffee im Salon treffen, mit reich verziertem Porzellan und Servietten. 
Etwas zu selbstverständlich werden die Bezeichnungen der Nebendarsteller, der kleinen Gestalten aus dem Mumintal wie zum Beispiel der Hemule, eingesetzt. Ohne Muminvorkenntnisse bleiben kleine und große (Vor-)Leser ratlos zurück.

Gefühlsstarke Zeichnungen vermitteln Mumins gewaltige Freude und tiefen Schmerz

Die ausdrucksstarke textliche Vermittlung Mumins intensiver wechselnder Empfindungen findet in Cecilia Heikkiläs Zeichnungen ihr bildliches Pendant. Mit nur wenigen Strichen ändert sich Mumins Gesichtsausdruck und Körperhaltung von allergrößter Bewunderung dem Drachen gegenüber zur Verwunderung und Verletzung über das grobe Verhalten des geflügelten Geschöpfes. Der Ärger über die neugierig-stichelnde Kleine Mü geht in unbändige Freude und Stolz über, als Mumin dem Schnupferich vom Drachen erzählt. Hilflose Enttäuschung und Verzweiflung spürt Mumin, als der Drache nur dem Schnupferich seine Zuneigung zeigt, und schließlich Verblüfftsein darüber, dass das kleine Tier dennoch nachts nicht beim Schnupferich zu finden ist.

Qualitätvolle und aufwendige Buchgestaltung

Wie bereits im Sammelband „Abenteuer im Mumintal – Nach drei Erzählungen von Tove Jansson“ illustrieren wechselnd farbenprächtige, teils doppelseitige Zeichnungen und kleinere schwarz-weiß-Bilder das Geschehen, hochwertig gebunden in Halbleinen.

Die Farbstimmung der bunten Muminwelt ist getragen von Gelb-, Grün- und Blautönen, in deren Mittelpunkt die weißen Mumins stehen, umspielt von rotblumigen Akzenten. Wolken am Himmel und Lichtreflexe der untergehenden Sonne im Wasser zeigen sich wie kunstvolle Muster auf den Farbflächen. Blumen zieren Wände, Bett- und Tischdecken, Kaffeekannen und Geschirr und tragen Leichtigkeit in die Größe und Wichtigkeit der Botschaft des Muminabenteuers.

Botschaft von unerfüllten Wünschen, Sehnsucht und Freundschaft

Eingebunden in eine fantasiereiche Geschichte erzählen sowohl die Autorinnen Tove Jansson und Cecilia Davidsson sowie die Übersetzerin Birgitta Kicherer in kindgerechten Worten, als auch die Illustratorin Cecilia Heikkilä in atmosphärischen Bildern von unerfüllten Wünschen und Bedürfnissen, von Sehnsucht. Und von Freundschaft, die über all diesem steht.

Unterdessen hat sich das Kind hinter einer bunt bemalten Drachenmaske versteckt. „Ich bin ein Drache, Mama“, faucht es hinter einem Busch hervor. „Ein echter!“

Titel: Die Mumins und der letzte Drache – Nach einer Erzählung von Tove Jansson
Urheber: Cecilia Davidsson (Autorin), Tove Jansson (Autorin), Cecilia Heikkilä (Illustratorin)
Altersempfehlung: ab 4 Jahren
Umfang: 36 Seiten, Halbleinen
Maße: 26,5 x 20 cm
Herausgeber: Verlag Freies Geistesleben & Urachhaus
Veröffentlichung: 1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-8251-5262-8
Preis: 18,00 Euro

Original Titel: Mumintrollen och draken
Original Verlag: Bonnier Carlsen Bokförlag, Stockholm
Original Sprache: Schwedisch
Übersetzerin: Birgitta Kicherer

Fotos: Anja Jürges/STADT LAND WELTentdecker
Cover/Titelgrafik: Verlag Freies Geistesleben & Urachhaus

* Für den Beitrag wurde uns ein Rezensionsexemplar des Buches „Die Mumins und der letzte Drache – Nach einer Erzählung von Tove Jansson“ zur Verfügung gestellt, er ist demnach Werbung. Der Text ist unbezahlt und zeigt lediglich unsere Erfahrungen und Meinung. Ein herzliches DANKE für das schöne Buch und, an Claudia Rehm, für die unkomplizierte und herzliche Kommunikation! ♡

Weitere Abenteuer der Mumins gibt es hier zu entdecken, weitere BUCHentdeckungen aus dem Verlag Freies Geistesleben & Urachhaus findet ihr hier. All unsere BUCHentdeckungen sind hier gesammelt.

11 Kommentare

  1. Liebe Anja,

    du stellst immer so schöne Kinderbücher vor, da bekomme ich stets richtig Lust diese auch zu entdecken. Drachen finde ich von den ganzen Fabelwesen am faszinierendesten. Da fehlt so eine Geschichte in meiner Sammlung. Toll finde ich, dass die Illustrationen den Text perfekt widerspiegeln. Das macht das Gehörte auch für die kleinen Kinder greifbarer.

    Liebe Grüße
    Mo

    • Stimmt, liebe Mo, besonders bei Büchern für ganz kleine Kinder haben die Illustrationen so viel Gewicht – Das, was vom Text her vielleicht noch nicht verstanden wird, wird über die Bilder greifbar.
      Herzliche Grüße
      Anja

  2. Obwohl das BUch jetzt nicht für meine Altersklasse ist, würde ich es am liebsten sofort selber lesen! Die Beschreibung ist einfach viel zu niedlich. Und so einen kleinen Drachenfreund hätte ich ja selber gerne. Aber verrätst du auch, wo sich der Drache nachts jetzt aufhält? Gibt es ein Happy End??

    • Liebe Tanja,
      tatsächlich weiß ich gar nicht genau, wo der kleine Drache nachts nun ist. Aber der Schnupferich findet eine Lösung, um seinem Freund Mumin in seinem großen Schmerz zu helfen. 🙂
      Herzliche Grüße
      Anja

  3. Du hast das Buch so schön vorgestellt. Die Geschichte mit dem Drachen klingt sehr gut. Für Kinder sicherlich ein ganz tolles Buch. Viele Grüße Melissa

  4. Die Geschichte klingt wirklich sehr niedlich und interessant. Da würde man am liebsten direkt selber weiterlesen, egal wie alt man schon ist 😉

    Liebe Grüße
    Aimee von SimplyJaimee

  5. Wo waren diese Bücher als ich selbst klein war? Das hätte mich selbst auch gefesselt.

  6. Pingback:DIE UNBEKANNTE GEFAHR HEIßT WEIHNACHTEN (Rezension: Weihnachten im Mumintal - Nach einer Erzählung von Tove Jansson) - STADT LAND WELTentdecker

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